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Mit dem Rad die Seidenstraße entlang

Zur Not gibt’s Hilfe im Begleitfahrzeug: In 175 Tagen mit 16 Radlern durch 10 Länder um die halbe Welt. Von Athen zu den Olympischen Spielen in Peking

TEXT UND FOTOS SVEN HANSEN

„So eine Reise wird es wohl nie wieder geben“, fürchtet Dieter Koehler. „Das ist eine einmalige Strecke.“ Der 73-jährige frühere Berliner Blumengroßhändler fährt seit Jahrzehnten Rad. Die Idee, mit einer Gruppe von Athen nach Peking entlang der Seidenstraße zu den Olympischen Spielen zu radeln, faszinierte ihn sofort. Schließlich übertrifft das Koehlers eigene bisherige Superlative wie eine Radtour ans Nordkap.

Der rüstige Koehler ist einer von 14 Deutschen und je einem Schweizer und Österreicher, die im Februar in der griechischen Olympiastadt von 2004 aufgebrochen sind. 175 Tage und 13.600 Kilometer später will die Gruppe im Alter von 41 bis 73 Jahren in Peking eintreffen. „Ich denke längst nicht mehr an die Arbeit und zuhause“, sagt die 47-jährige Finanzanalystin Elisabeth Frost aus Böblingen. Da hat die Gruppe aus elf Männern und fünf Frauen schon Griechenland, die Türkei, Georgien, Aserbaidschan, Turkmenistan, Usbekistan, Tadschikistan, Kirgisien und Kasachstan durchquert.

Begeistert sind die meisten Teilnehmer von den Berglandschaften in Kirgisien. „Das Land war eindeutig am schönsten“, schwärmt Heike Elsmann. „Hohe Berge, grün bis oben hin, der weite Blick ins Land, ein Reiter am Horizont.“ Die 44-jährige Beamtin aus Langerwisch bei Potsdam nimmt mit ihrem Mann André ein Sabbatical und ist besonders von der Gastfreundschaft in den zentralasiatischen Ländern beeindruckt.

Zusätzlich zur Gesamttour gibt es eine Begleitgruppe. Sie besteht aus Radlern, die vom usbekischen Buchara bis Peking und damit etwa die halbe Strecke fahren. Oder aus Teilnehmern, die nur drei Wochen für eine Teiletappe haben. Das Tourenpaket haben sechs im Forum Anders Reisen zusammengeschlossene Veranstalter organisiert, die sich auf Länder entlang der Route spezialisiert haben. Die Teilnehmer bewerten die Leistungen von gut (Gnosis Travel, China By Bike) bis schlecht (biss-Reisen, Baikal Express). Die gesamte Tour kostet rund 16.000 Euro (ohne An- und Abreise) inklusive sprachkundiger Reiseleitung, eines ständigen Begleitfahrzeuges und eines neuen Trekking-Rades, das beim Nutzer verbleibt. Teiletappen gibt es mit An- und Abreise sowie Leihrad ab 3.000 Euro.

Beide Gruppen treffen wir in Urumqi, Hauptstadt der chinesischen Nordwestprovinz Xinjiang. In der Region sind muslimische Uiguren, von denen einige nach Unabhängigkeit streben und von Peking als Terroristen gebrandmarkt werden, die größte Bevölkerungsgruppe. Straßenschilder hier haben arabische Schriftzeichen oben, darunter chinesische. Urumqi liegt an der nördlichen Route der Seidenstraße. Dieses Geflecht alter Karawanenrouten verband im Mittelalter Europa und China. Inzwischen erlebt sie eine touristische Renaissance.

Urumqi mit seinen 2,1 Millionen Einwohnern boomt wegen des Rohstoffreichtums der Region. Die Viertel der die Stadt dominierenden Han-Chinesen sind reicher als die der turkstämmigen Uiguren. Glitzernde Shopping-Center voll moderner Elektronik und in China produzierter oder kopierter internationaler Markenware kontrastieren mit Basaren voller Trockenfrüchte, folkloristischem Kunsthandwerk, billigem Ramsch oder Gebrauchtwaren. Beide Bevölkerungsgruppen kommen nur auf dem Nachtmarkt zusammen. Dort essen tausende Han-Chinesen bis spät nachts Fleisch von rauchenden Grills der Uiguren. Weil Peking der 3.000 Kilometer westlich gelegenen Region keine eigene Zeitzone zugesteht, kommt das Leben hier morgens erst spät in Gang und ist abends umso später zu Ende.

Am nächsten Tag beginnt die Einöde. Bald tauchen neben der Straße erste Kamele auf. Wir radeln nördlich um die westlichen Ausläufer des Tianshan-Gebirges, um dann bei Fukang direkt in die Berge vorzudringen. Nach hundert Kilometern, zum Ende auf steilen Serpentinen, erreichen wir in einer Alpenlandschaft den türkisblauen Himmelssee. Im Hintergrund schneebedeckte Fünftausender, im Vordergrund buddhistische Klöster oder kasachische Jurten. Die Rundzelte dienen auch uns zwei Nächte als Unterkunft.

Die Tage darauf geht es in Etappen von täglich gut 100 Kilometern auf einer kasachisch dominierten Hochebene entlang des Tianshan-Gebirges. Die dortigen Kleinstädte wurden in den letzten Jahren modernisiert. Auch die Straßen sind in gutem Zustand. Ohnehin ist Radfahren in China unkompliziert. Die Lkw-Fahrer sind erstaunlich rücksichtsvoll, die Menschen am Straßenrand freundlich.

Einmal übernachten wir bei einer kasachischen Familie in einem ärmlichen Bergdorf, das noch nicht von massiven staatlichen Investitionen profitiert hat. Die Familie ist herzlich, die Kinder sind verschämt neugierig. Es gibt nur einen Donnerbalken, dafür aber Satellitenfernsehen. Leider ist selbst auf Chinesisch eine Verständigung jenseits von Gesten hier kaum möglich.

Weiter geht es auf einer Ebene unterhalb schneebedeckter Gipfel. Vor der Kleinstadt Barkul mit alter Stadtmauer aus Lehm rätseln wir kilometerlang, ob das Wasser am Horizont ein See oder nicht doch eine Luftspiegelung ist. Zunächst ist Letzteres der Fall, doch dann kommt tatsächlich noch ein Salzsee. Von der Ebene mit Kamel-, Schaf- und Ziegenherden geht es tags darauf durch schroffe Schluchten schwarzer Felsen hinab in die Wüste und bald in die für ihre süßen Melonen bekannte Stadt Hami. Am Stadtrand mit angenehm schattigen Radwegen dienen die Mausoleen einer pekingtreuen muslimischen Fürstendynastie als Argument für Chinas Herrschaftsanspruch auf die historisch umstrittene Region.

Am nächsten Tag steht mit 200 Kilometern die längste Etappe an. Wegen des Abrisses des einzigen Gasthauses entlang der Straße durch die Wüste werden zwei Etappen zusammengelegt. Mittendrin treffen wir zwei chinesische Radler aus Chongqing. Sie sind schon einen Monat unterwegs und wollen noch in einem Bogen nach Tibet.

Die 200-Kilometer-Etappe schaffen von der Athen-Peking-Gruppe zwei Drittel, von der weniger routinierten Begleitgruppe noch die Hälfte. Da es immer die Möglichkeit gibt, in den Begleitbus zu steigen, ist es eine Herausforderung, aber kein Zwang, durchhalten zu müssen. Ein schlimmer Sturz samt Brüchen kurz vor dem Etappenziel beendet jedoch für einen Teilnehmer vorzeitig die Fahrt nach Peking.

Zwei Tage später erreichen wir Dunhuang in der Provinz Gansu. Die Oasenstadt liegt am Rande der Wüste Taklamakan. Hier teilt sich die Seidenstraße in ihren nördlichen und südlichen Teil, um die früher undurchquerbare Wüste zu umgehen. In der heute 186.000 Einwohner zählenden Stadt ruhen sich beide Gruppen aus, erklimmen die großen Sanddünen, blicken von dort auf den Mondsichelsee hinab und besichtigen die Mogao-Grotten voll buddhistischer Wandmalereien und Statuen. Von hier breitete sich der Buddhismus nach China aus. Dass die Stadtregierung an diesem Tag den olympischen Fackellauf, der erst sechs Tage später eintrifft, mit zehntausenden Menschen proben lässt, erinnert daran, dass China autoritär regiert wird und die Olympischen Spiele auch eine prestigeträchtige Show sind.

„Für mich ist die Fahrt durch die Wüste der beeindruckendste Teil der Reise“, sagt Martin Rid, 57. Den pensionierten Lokführer begeistern die zentralasiatischen Berglandschaften auch, aber Berge sind ihm schon aus seiner Heimat Bayern vertraut, nicht jedoch die Wüste. Nicht los lässt ihn eine zufällige Begegnung mit einem 60-jährigen usbekischen Fan des FC-Bayern-Torhüters Oliver Kahn. Der Usbeke war schon 2006 zur Fußball-WM nach Deutschland geradelt und sogar von seinem Idol empfangen worden. Jetzt bat er Rid um Hilfe, damit er zu Kahns Abschiedsspiel im September nach München reisen kann.

In Dunhuang verlassen wir beide Gruppen. Sie haben bis Peking noch mehr als 3.000 Kilometer vor sich. Doch Reiseleiter Tom Krech ist sicher: „Ich würde so eine Fahrt nochmal machen.“ Der Sinologe mit Russischkenntnissen radelte bereits als Student von Europa nach Asien und leitet die gesamte Tour. „Die Reise füllt eine Marktlücke“, sagt Volker Häring, Geschäftsführer von China By Bike und mit Krech Initiator der Reise. Es habe Zweifel gegeben, ob sich genügend Teilnehmer finden. Aber immer mehr Menschen wollten ein Sabbatical zum sportlichen Reisen nutzen. Touren für ein halbes Jahr würden Ausnahmen bleiben, aber für dreimonatige Touren sieht Häring einen Markt. Inzwischen hat diese Tour bereits mehrere Touristik-Preise gewonnen. Reiseleiter Krech hat schon neue Ideen: „Deutschland–Südafrika zur Fußball-WM 2010. Oder Hongkong–London zu den Olympischen Spielen 2012?“

Trotz mancher Strapaze können die Teilnehmer von Erlebnissen und Eindrücken berichten, die sie nie vergessen werden. Das relativiert auch Probleme in der Gruppe, die bei so langer gemeinsamer Zeit zwangsläufig auftreten. Reiseleiter Krech stellt sogar fest, das Gruppenverhalten der Teilnehmer sei mit der Zeit sozialer geworden. Zu Beginn seien unterschiedliche Erwartungen aufeinandergeprallt. „Ich musste einigen erst mal erklären, dass es eine anspruchsvolle Radreise ist und kein kultureller Urlaub“, sagt ausgerechnet Seniorradler Koehler. Das olympische Motto „Dabei sein ist alles“ gilt bei dieser Tour auch für ihn: „Es ist ein großes Abenteuer.“

Links: forumandersreisen.de www.athen-peking.de www.china-by-bike.de Reiseblogs: blog.athen-peking.de (von Reiseleiter Tom Krech) www.shel.at/athenpeking (von Teilnehmer Hubert Leber)

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