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Brückenschlag mit Kunst

Das Spektrum reicht von epigonalem Kirchner bis zu minimalem Kiefer: Die Open Air Gallery auf der Oberbaumbrücke

VON DOMINIKUS MÜLLER

Auf der Brücke, auf der letzte Woche in der Schlacht zwischen Friedrichshain und Kreuzberg volle Windeln und alter Fische flogen, stehen nur ein Wochenende später die Zeichen wieder auf Versöhnung. Am obligatorischen afrikanischen Essensstand liegen Wiener Würstchen und filetierte Kochbananen in trauter Eintracht nebeneinander. Mitten auf der Straße: Ein langes symbolisch verbindendes Papierband, das vom einen Ufer ans andere reicht und auf dem sich jeder kreativ vergehen kann. So steht da dann auf kindlichem Pollock’schem Drip-Painting-Grund der Name „Sido“. Also: Gemeinsamkeit und integratives Gespür sind gefragt, die zwei Enden von Wurst und Banane sollen zusammengebogen werden – im Medium der Kunst, in der Form eines Straßenfestes, unter dem Namen „Open Air Gallery“ und mitten auf der gesperrten Oberbaumbrücke.

Die Open Air Gallery, inzwischen im sechsten Jahr ihres Bestehens und jedes Jahr am ersten Sonntag im Juli und im August vom Stadtteilausschuss Kreuzberg e. V. veranstaltet, ist ein wundersamer Zwitter aus Straßenfest und Kunstmarkt, eine, wenn man so will, Kunstausstellung mit Flohmarktcharakter, die schon mal gut und gerne 15.000 bis 20.000 Besucher anzieht. Die etwa 100 ausstellenden Künstler zeigen ihre Kunst an just jenen grob zusammengezimmerten Marktständen, die vom Rathaus Schöneberg über den Kupfergraben und Mauerpark bis hin zum Boxhagener Platz jedes Wochenende als Präsentierfläche herhalten müssen für nicht mehr gebrauchten Kinderzimmerschrott, Möchtegernantikes, Spät-90er-Jahre-House-Platten und Ökoklamotten, deren Patschuligeruch auch nach mehreren Dutzend Waschgängen noch wahrzunehmen ist.

Das hier ist Flohmarkt minus Flohmarkttrash. Bleiben also all die Jungs und Mädchen und auch älteren Semester, die verstärkt auch auf den regulären Trödelmärkten ihre in der kommunalen Fotokammer entwickelten, Schwarz-Weiß-Fotografien (selbstverständlich analog!) von Berliner-Straßen-Impressionen für 20 Euro das Stück unters Volk mischen wollen, oder die Graffiti-Jungs, die auf 20 mal 15 Zentimeter großen Leinwänden den Banksy-gleichen Sprung von der Straße ins Auktionshaus schaffen wollen.

Irgendwas mit Kunst

Aber vielleicht tut man dem Ganzen Unrecht, wenn man dem hier versammelten kreativen Output eine Kunstmarktambition unterstellt – selbst wenn wiederholt zu hören ist, dass frühmorgens der ein oder andere Galerist auftaucht, um sich hier auf die Suche nach Frischfleisch für den dürstenden Kunstbetrieb zu begeben. Eigentlich ist das ein Straßenfest – aber eben eines, das sich als Kunstmarkt tarnt. In Zeiten, in denen in dieser Stadt die gefühlte Hälfte zumindest der jüngeren Bewohner in den Innenstadtbezirken „irgendwas mit Kunst macht“, zieht das klarerweise Leute wie nix.

Doch die koksbefeuerte Galerieszene im Stadtzentrum ist hier weit weg und beim Blick von der Brücke nur zu erahnen. Und auch von all jenen hippen jungen Künstlern, die vornehmlich aus den USA und Kanada zuziehen, ist hier nichts zu sehen. Wo Kreuzberg an seinem anderen Ende im Grenzgebiet zu Mitte – an der Kochstraße und Lindenstraße – zunehmend zum Developmentgebiet für fabrikhallengroße Galerieräume der Oberklasse mutiert, wird auf dieser Seite im Zusammenschluss mit Friedrichshain eher das alternative Spektrum der Kunstproduktion ausgelotet, wenngleich auch hier verstärkt auf „Internationals“ gesetzt wird: Nicht nur Berliner sind vertreten, sondern auch das Umland, Hamburg oder Süddeutschland, Spanien, Kolumbien, Georgien, Kasachstan und so weiter und so fort. Dass all jene dann doch zu großen Teilen in Berlin wohnen und arbeiten oder zur Kunsthochschule gehen, tut dem verbreiteten Internationalisierungsfuror offensichtlich keinen Abbruch mehr.

Denn der Kiez ist offen! In die ganze Welt, ins Umland und die östlich angrenzenden Stadtteile. Wie sonst soll man sich die Träger von Cord-applizierten Jeans erklären und die Rentnerehepaare in zerknitterten Chinos, die den freigehaltenen Papierstreifen in der Mitte der Fahrbahn schon mal als Beschleunigungsspur im Slalom durch die Besuchermassen verwenden – ähnlich den Autofahrern, die bei Stau auf die Standspur ausweichen. Und auch der beim typischen Tangotanz übers Parkett schiebende Frühsechziger in Camouflage-Hose zum weißen Hemd scheint eher von jenseits der Rummelsburger Bucht zu stammen.

Da vergisst man dann doch ziemlich schnell die Kunst, die hier zwischen epigonal-kitschigen Kirchner-Straßenszenen, Streetart-Verweisen und Comic-artigen Illustrationen auf der einen Seite und einer wirklich gelungenen, sehr minimalen Anselm-Kiefer-artigigen Malerei auf der anderen Seite anzusiedeln ist. Der für die „Höher, schneller, weiter“-Attitüde des regulären Kunstbusiness oftmals typische Geruch von frischer Ölfarbe weht hier nur ganz selten vorbei. Hier gilt meist noch: Kunst ist Ausdruck der Seele, kreative Reise ins Ich. Kritisches und Intelligent-Konzeptuelles findet man also eher weniger. Außer man nimmt die pittoreske Landschaftsmalerei mit Oberbaumbrücke als institutionskritisches Statement.

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