: Zu klein zum Überleben
Sie sind jung und brauchen das Geld: Weil dem Kiezclub „Molotow“ die Schließung droht, gründen Stammgäste eine Retter-Initiative. Gesucht wird ein Sponsor, der jährlich 60.000 Euro fließen lässt
VON FLORIAN ZINNECKER
Was der wohl gerade denkt? Es ist ein Donnerstagabend Ende Juli, in der Meanie-Bar am Spielbudenplatz sitzen gut drei Dutzend Gäste, nicht wenige mit in die Stirn gekämmtem Pony. Links neben der Meanie-Bar: ein nicht nur stadtbekanntes Musical-Theater. Auf der anderen Seite: eine nicht weniger bekannte Esso-Tankstelle. Und mittendrin in der Meanie-Bar, auf einem Hocker am Tresen, sitzt Michael Einführ. Den hier alle Micha nennen. Mit gelbem Hemd offen über Feinripp und nicht vorhandenem Bauch, auf beiden Wangen eine senkrechte Falte.
Was der wohl gerade denkt, darüber verrät seine Miene kein Stück. Er könnte amüsiert sein von den Versuchen der um ihn herum sitzenden Leute, das Molotow, den legendär genannten Club in der Etage unter der Meanie-Bar, vielleicht doch noch vor der Schließung zu retten.
Er könnte dankbar sein, dass hier gut 30 Leute versuchen, seinen Arbeitgeber vor der Pleite zu retten? Andererseits könnte er denken: Lasst stecken, bringt doch eh nichts, wir machen 60.000 Euro Miese im Jahr, die kriegt ihr nicht rein mit Benefiz-T-Shirts. Keine Ahnung. Wie auch immer: Egal ist es ihm vermutlich nicht. „Danke, dass Ihr da seid“, sagt er nur.
Der letzte kleine Club
Jeder hier im Raum, die meistens sind Anfang 20, kann aus dem Stand fünf Bands aufzählen, die jemals im Molotow gespielt haben. Die meisten locker mehr: The White Stripes, Killers, Wir sind Helden, Die Toten Hosen, Mando Diao, The Hives, Billy Talent – die meisten waren hier, bevor es richtig losging mit dem Erfolg. Viele Clubs unterhalb der Kapazitätsgrenze von 600 Gästen gab es noch nie auf dem Kiez. Heute ist das Molotow der letzte.
Bis Dezember wird es noch weitergehen in dem berühmten Keller am Spielbudenplatz, danach, wie es aussieht, nicht mehr. „Das Molotow kann sich finanziell nicht mehr selbst tragen“, erklärt Club-Betreiber Andi Schmidt, der sich hier und heute von Micha vertreten lässt, am Telefon. „Weil wir einen extremen Einbruch beim Getränkeumsatz verzeichnen – trotz gleich bleibender Besucherzahlen.“ Schmidts Lieblingsbeispiel: Anfang dieses Jahres habe es ein Konzert mit 200 zahlenden Gästen gegeben – und 400 Euro Getränkeumsatz. Das Problem daran: Die Veranstaltungen finanzieren sich hauptsächlich aus dem Getränkeverkauf, „wir sind mit 350 Gästen schon voll“, sagt Schmidt, „da geht das nicht anders.“ Egal, dass es betriebswirtschaftlich Unsinn sei.
Schon Ende 2007 waren die Zahlen bedenklich, Anfang des laufenden Jahres verschlechterte sich die Lage dramatisch. Die Konsequenz: Zum Ende des Jahres hat Schmidt den Mietvertrag gekündigt. Das Rauchverbot ist schuld, schrieb eine große Boulevard-Zeitung. Die Gäste haben immer weniger Geld in der Tasche, glaubt Schmidt, „aber daraus mache ich niemandem einen Vorwurf“. Schuld sind die Kioske, die in direkter Nachbarschaft Bier weit billiger verkaufen, sagen andere. Wieder andere sagen: Selbst schuld, ihr werbt zu wenig, fahrt seit Jahren auf derselben Schiene, hättet euch längst öffnen müssen. Und ein paar Leute – manche von ihnen sitzen heute hier – sagen auch: Die Stadt ist schuld. Weil sie mit ihrer Clubszene werbe, sich als Stadt der Livemusik verkaufe, aber rein gar nichts dafür tue.
Zu einer lebendigen Musikszene gehört auch das Leben und Sterben von Clubs, entgegnet Hamburgs Kultursenatorin Karin von Welck auf Nachfrage der taz. „So ehrlich muss man sein, so grausam das zunächst auch klingen mag.“ Die Stadt Hamburg könne die Clubkultur strukturell unterstützen – etwa mit der Einrichtung eines Livemusik-Fonds und gemeinsamen Werbemaßnahmen. „Dazu hat sich auch der Hamburger Senat in seiner Koalitionsvereinbarung deutlich bekannt.“
Eine institutionelle Förderung der Clubs komme seitens der Stadt nicht in Frage. „Wir können nicht einzelne Clubs mit öffentlichen Finanzspritzen am Leben erhalten.“ Da müssten sich schon Hamburgs Musikinteressierte zu ihren Clubs bekennen.
Deshalb steht an diesem Donnerstag im Juli Niklas Dziobek in der Meanie-Bar und fragt erst: „Wer schreibt Protokoll?“ Und dann: „Noch jemand ‚ne Idee?“ Dziobek, 21, ist einer der Gründer der Initiative, die so heißt wie ihr Ziel: Rettet das Molotow. Im Internet wurde von der ersten Minute an diskutiert, wie ihr Lieblinsclub noch zu retten sei. So wie heute hier.
Entscheidung Ende August
Benefiz-T-Shirts? Gute Idee, aber geklaut vom FC St. Pauli, also Finger weg. Eine Benefiz-CD? Einer der Retter steht mit dem Label Grand Hotel van Cleef in Verhandlung, es sehe gut aus, sagt er. Plakat-Aktionen? Gleich morgen. Benefiz-Konzerte? Auf ihrer Internetpräsenz haben die Retter eine Liste eingestellt, auf der ständig die Zu- und Absagen aktualisiert werden. Letztere sind deutlich in der Überzahl. „Das Molotow wird nicht schließen“, verkünden die selbst ernannten Retter dann und wann per Pressemitteilung.
Auf forschende Nachfragen hin ruft dann Molotow-Micha Einführ per Handy zurück und dementiert: „Nee, wir hoffen natürlich, aber einen Durchbruch, den gibt es noch nicht.“ Durchbruch? Ist nicht der Mietvertrag bereits gekündigt? „Der Vermieter hat uns eine Frist eingeräumt“, erklärt Einführ, „es ist ja auch in seinem Interesse, dass es weitergeht.“ Die endgültige Entscheidung müsse Ende August fallen. Die Petition auf der Homepage der Initiative haben inzwischen 1.159 Leute unterschrieben, an wen sie gerichtet ist, weiß niemand so genau. Andi Schmidt macht in der Zwischenzeit erst einmal Urlaub.
Helfen, sagt Einführ, könne jetzt nur noch ein Sponsor, der dem Club langfristig unter die Arme greift. Das Volumen? Einführ spricht von 60.000 Euro Defizit im Jahr, das aufgefangen und ausgeglichen werden müsse. „Natürlich unter der Bedingung, dass der Laden bleibt, wie er ist.“ Vattenfall- oder Tui-Molotow werde man sich nicht nennen.
Die Molotow-Retter treffen sich heute, Donnerstag, um 21 Uhr in der Meanie-Bar, Spielbudenplatz 5
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