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Leber und Milch

Gelungener Nachschlag: Die Ausstellung „Berlin 68“ im Palais Ephraim rekapituliert in acht Themenkomplexen, vielen Fotos und Audiodokumenten die verschiedenen Stationen einer Revolte, macht aber auch ihr Scheitern deutlich

Mittlerweile verspürt man eine gewisse Müdigkeit, das Jahr 1968 betreffend. Was wurde nicht schon alles initiiert anlässlich seines 40. Jubiläums: Ausstellungen, Lesungen, Filmreihen, Symposien und nicht zuletzt die Debatte um Götz Alys Buch „Unser Kampf“. „Genug“, möchte man sagen, „es reicht jetzt.“

Es reicht noch nicht ganz. Denn das Außergewöhnliche an der Ausstellung „Berlin 68. Sichten einer Revolte“ im Ephraim-Palais ist, dass sie dem Besucher ermöglicht, sich jener Zeit primär über ihre Sprache anzunähern. Integriert in die Ausstellung sind nämlich in beinahe jedem Raum aufgestellte Audiostationen, in denen man Augenzeugen von damals – Studenten, Polizisten, Intellektuellen – dabei zuhören kann, wie sie ihre Eindrücke schildern. Unterteilt in acht Themenkomplexe, erzählt „Berlin 68“ so eine Geschichte, die man zwar schon tausendfach gehört hat, aber eben selten in dieser Komplexität und Vielstimmigkeit.

Eine Geschichte, die hier am 5. Februar 1966 mit den Eierwürfen auf das Amerika Haus einsetzt und am 4. November 1968 mit der „Schlacht am Tegeler Weg“ endet. Was sich dazwischen ereignet hat, etwa das von der Kommune I initiierte „Pudding-Attentat“ auf den amerikanischen Außenminister Hubert H. Humphrey oder die „Osterunruhen“, davon zeugen neben den Tondokumenten zahlreiche Schriftstücke – APO-Flugblätter, dadaistisch anmutende Pamphlete der Kommune I, Zeitungsausschnitte, Fotos und Filmaufnahmen.

Auffällig ist, wie von den Gegnern der Studentenrevolte immer wieder nationalsozialistisch anmutende Vergleiche ins Feld geführt werden. Etwa von jenem Berliner Justizsenator, der sich durch das Einwerfen der Fensterscheiben von sieben Morgenpost-Filialen an die Pogromnacht von 1938 erinnert fühlte. Oder von der BZ, die forderte, die „Unruhestifter unter den Studenten auszumerzen“. Biedere Bürger halten Transparente hoch, auf denen sie „Hängt die Kommunistenschweine“ oder „KZ für Studenten“ fordern. Die Sprache des Jahres 1968, das merkt man immer wieder, lief in ihrer Drastik und Unangemessenheit stets Gefahr, in die Diktion des Totalitarismus umzuschlagen.

Doch auch die Gegenseite ist vor Kritik, auch von links, nicht gänzlich gefeit. So spricht eine amerikanische Studentin von einem „irrationalen Antiamerikanismus“ vieler deutscher Studenten und wirft die Frage auf, ob dieser nicht möglicherweise ein Relikt des Nationalsozialismus sei. Frank Zappa ließ sich nach einem Konzert der „Mothers of Invention“ gar zu der Aussage hinreißen, die jungen Leute hielten sich zwar für eine neue Linke, verhielten sich aber „wie Nazis“. Götz Aly lässt grüßen.

Die Ausstellung hat aber durchaus auch ihre lustigen Seiten. So entdeckt man ganz nebenbei viel Skurril-Sinnloses, etwa dass der Kronkorken einer Bionade-Flasche den „Enteignet Springer“-Buttons nachempfunden zu sein scheint. Unfassbar ist auch die 564 Titel umfassende Liste von Büchern, mit denen Rudi Dutschke nach Amerika emigrieren wollte: nur trockene Theorie – Kropotkin, Engels, Bakunin –, kein einziger Roman.

Natürlich gibt es auch Exponate zu sehen, die ihren Reiz primär aus ihrer Authentizität oder Symbolhaftigkeit beziehen, wie etwa Dutschkes legendäre braune Lederjacke oder das akribisch geführte Kassenbuch der Kommune I, dem man entnehmen kann, dass am 9. März 1967 5,60 DM für „Leber und Milch“ ausgegeben wurden. Doch der Schwerpunkt liegt eindeutig auf jenen Audiodokumenten, die man sich selbst erschließen muss und für die man viel Zeit mitbringen sollte. Es lohnt sich.

ANDREAS RESCH

„Berlin 68. Sichten einer Revolte“, bis 2. November im Ephraim-Palais

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