: Kita-Kampf im Wohngebiet
In Hamburg-Othmarschen eröffnete gestern eine Kita, obwohl Richter das verboten hatten. Ein Nachbar verlangte eine drei Meter hohe Lärmschutzmauer. Der Bezirk erlaubt den Betrieb – aber nur im Vorgarten. Schwarz-Grün neues Lärmschutzgesetz
VON:DANIELA KREBS UND KAIJA KUTTER
In der Reventlowstraße im feinen Hamburger Stadtteil Othmarschen bot sich gestern früh ein seltenes Bild: Unter großem Medienaufgebot eröffnete Leila Moysich vom Verein Sternipark eine Kinderkrippe, obwohl dies gerichtlich verboten worden war. „Wir mauern unsere Kinder nicht ein“, sagte die junge Frau, im Vorgarten einer Villa stehend. Niemand solle eine Lärmschutzwand um eine Kita bauen müssen.
Eine solche drei Meter hohe und 46 Meter lange Wand hatten zwei Nachbarn gefordert und klagten. Das Verwaltungsgericht gab der Klage am Freitag kurzfristig statt und untersagte die geplante Eröffnung der Krippe für 40 Kinder.
Moysich empfängt die Eltern und die Kleinkinder dennoch mit einem freundlichen Lächeln. „Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass die Polizei kommt und die Kita samt Kindern räumt“, beruhigt sie eine junge Mutter und begleitet sie ins Haus.
Die gelbe Villa wurde gerade frisch renoviert und gleicht von außen noch einer Baustelle. „Es gibt keine Alternative. In der Nachbarschaft gibt es keine freien Krippenplätze“, sagt die Ärztin Setareh Huschi. „Wohin soll ich sonst mein Kind bringen?“
Das Dröhnen eines Flugzeugs über den Dächern Othmarschens unterbricht alle Gespräche im Vorgarten. „Ich verstehe das Problem einfach nicht“, sagt Kita-Leiterin Ilona Riebes. „Der Lärmpegel ist hier sonst auch hoch.“ Die Häuser liegen an einer viel befahrenen Straße, in Sichtweite der S-Bahn und in einer Einflugschneise.
Am Mittag entschärft sich die Lage nach einem Krisengespräch. Der Leiter des Bezirksamtes Altona, Jürgen Warmke-Rose, erteilt der Kita mündlich eine neue Genehmigung. Dadurch ist vorerst der Betrieb gesichert. Es dürfen aber nur der Vorgarten und das Haus genutzt werden. Das hintere Grundstück darf bis auf weiteres nicht ausgebaut werden.
Nun muss das Oberverwaltungsgericht über die Kita entscheiden, denn Sternipark und Bezirksamt haben gegen das Urteil Beschwerde eingelegt. „Wir hoffen, dass der Betrieb auf Dauer aufrecht erhalten werden kann“, sagt Warmke-Rose. „Wir wollen, dass eine Kita eher als Wohnen für Kinder gesehen wird und damit auch in Wohngebieten möglich ist.“
Der Fall hat eine Vorgeschichte: Im Jahr 2005 verbot ein Gericht der Kita „Marienkäfer“ im wohl situierten Stadtteil Marienthal auf Druck von Nachbarn den Betrieb. Seither stritten die Rathaus-Parteien um das Thema Kinderlärm. Alle wollten, dass er toleriert wird. Doch die damals noch allein regierende CDU tastete das Lärmschutzgesetz nicht an und ergänzte nur das Kinder- und Jugendhilfegesetz um den Satz „Kinderlärm ist als Ausdruck kindlicher Entfaltung hinzunehmen“. Der Opposition von Grünen und SPD war das zu wenig. Es sei ein „Placebo-Gesetz“, das keine Rechtssicherheit bewirke, monierten sie damals.
Das CDU-Gesetz half in der Tat nicht viel. Als die Marienkäfer-Kita im vorigen Jahr in einen Neubau zog, machten auch dort die Anwohner mobil. Die Folge war der Bau einer 60 Meter langen Schallschutzwand, die die 40 Kita-Kinder fortan beim Spielen umgab. „Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass das Gesetz das Papier nicht wert ist, auf dem es steht, dann liegt der Beweis in dem Bau der Lärmschutzmauer um die Kita Marienkäfer“, sagte der Hamburger Grünen-Politiker Christian Maaß im vorigen November in der Bürgerschaft. Er verlangte, Kinderlärm gegenüber Gewerbelärm zu privilegieren. So wurde es auch im schwarz-grünen Koalitionsvertrag vereinbart – und wird es wohl auch gemacht. „Ich sehe dringend Handlungsbedarf und fürchte, dass sonst weitere Urteile folgen werden“, sagt die Grüne Kita-Expertin Christiane Blömeke.
Heute ist Maaß Staatsrat in der Stadtentwicklungsbehörde im schwarz-grünen Senat. Deren Sprecher Enno Isermann versprach gestern, man arbeite „unter Hochdruck an einer neuen Verordnung“, ein Entwurf solle im ersten Halbjahr 2009 vorgelegt werden.
Die SPD will derweil ihr eigenes Kinderlärmgesetz einbringen. „Seit der Föderalismusreform ist Soziallärm Ländersache. Es ist möglich, ihn anders zu bewerten als den Lärm von Anlagen“, sagt Kita-Sprecherin Carola Veit. Die derzeitige Rechtsunsicherheit sei „keinem Träger zuzumuten“. Hamburg braucht für die geplante Umsetzung des Rechtsanspruchs auf einen Krippenplatz bis 2013 an die 6.000 neue Plätze und ist dabei auf die Initiative der Träger angewiesen.
Dass der Fall Marienkäfer den Krippenausbau erschwert, bestätigt auch Katrin Hesse-Sempert vom privaten Kita-Träger Enfantine GmbH. Auch sie hat gestern eine Krippe eröffnet. „Ich habe zwei Jahre nach Räumen gesucht“, sagt sie. Nur eine Stiftung war schließlich bereit, an eine Kita zu vermieten. „Die Vermieter denken, wenn sie an uns vermieten, müssen sie zwei Meter hohe Mauern bauen.“
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