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speichenbruchRadprofi Jan Ullrich ist nur im Paket zu haben

Babysitter auf Jobsuche

„Manchmal braucht Jan eben einen Tritt“, glaubt Wolfgang Strohband, der Manager des bislang einzigen deutschen Tour-de-France-Siegers, und ist deshalb auch davon überzeugt, dass die als „Babysitter-System“ verhöhnte Überbetreuung Ullrichs beim Team Telekom richtig war. Und tatsächlich kamen die Impulse für die entscheidenden Momente in Ullrichs Karriere meist von außen. Seinen Tour-de-France-Sieg 1997 etwa fuhr Ullrich am Anstieg nach Andorra heraus. Der Däne Bjarne Riis, seinerzeit amtierender Tour-Champion, musste den fitteren jungen Teamkollegen fast zwingen, davonzufahren, um der Mannschaft den Erfolg zu sichern.

Ullrich, der noch bis Ende März wegen Amphetamin-Dopings gesperrt ist und nach seiner letzten Knieoperation noch nicht voll trainieren kann, versteckt sich gerne hinter anderen – der Eigensinn und das Selbstbewusstsein, die etwa den vierfachen Toursieger Lance Armstrong auszeichnen, fehlen ihm. Als die zähen Verhandlungen mit dem dänischen Team CSC von Bjarne Riis um Weihnachten herum vor dem Scheitern standen, bestellte er deshalb seinen väterlichen Freund beim Team Telekom, den zweiten Sportlichen Leiter Rudy Pevenage, in sein neues Haus am Bodensee und gestand ihm: „Wenn das mit Bjarne nicht klappt, brauche ich dich, ich habe sonst niemanden mehr, der mir helfen könnte.“

Pevenage, der im Team Telekom als engster Vertrauter von Ullrich galt, ließ sich nicht lange bitten und kündigte seinen Vertrag bei Telekom umgehend. Jetzt gehört Pevenage zu dem Paket Ullrich, das noch immer für teures Geld auf dem Radsportmarkt feilgeboten wird. Dazu gehören neben Pevenage Ullrichs neuer Freund und Trainingspartner Tobias Steinhauser. Außerdem der unvermeidliche Peter Becker, der Ullrich auf der Kinder- und Jugendsportschule Berlin im Alter von 13 Jahren entdeckte.

Derzeit größter Interessent am Ullrich-Paket ist der Essener Rennstall Coast von Günther Dahms, Inhaber einer Ladenkette für Jugendmode. Dahms nötigte seinen Kritikern zwar durch sportlichen Erfolg Respekt ab – nach der Saison 2002 ist Coast auf Platz sechs der Weltrangliste und erhielt eine Einladung zur Tour de France 2003 –, Zweifel an der Solvenz von Coast wurden hingegen erst jüngst wieder laut, als der Radsportweltverband UCI dem Team vorläufig die Lizenz verweigerte.

Diese Skepsis teilt auch Bjarne Riis, der nun anscheinend endgültig bei Ullrich abgeblitzt ist. „Ich habe das Geld für meine Mannschaft mit oder ohne Ullrich. Ich weiß nicht, ob Dahms das auch von sich sagen kann.“ Das Management von CSC ließ durchblicken, dass die Vorstellungen von Ullrichs Manager Strohband nicht realistisch waren: „Wir haben Ullrich noch vor Weihnachten ein gutes Angebot gemacht. Das war aber anscheinend nicht genug“, so CSC-Team-Manager Axel Pedersen.

Es ist allerdings denkbar, dass für das Scheitern der Verhandlungen nicht nur finanzielle Aspekte ausschlaggebend waren. Riis hatte schon früh gefordert, dass sich Ullrich aus seinem alten Umfeld löse. Stein des Anstoßes war nicht zuletzt die Betreuung durch Peter Becker, über die Ullrich jedoch nicht verhandeln mochte. Wie es scheint, hat das Babysitter-System weniger mit dem Team Telekom zu tun als mit Ullrich selbst: Der 29-Jährige nimmt seine Babysitter mit, wohin er auch geht.

Das Team Coast scheint willens, Ullrichs Babysitter im doppelten Wortsinn in Kauf zu nehmen. Dem Team fehlte bislang ein deutscher Spitzenfahrer, der sich im Lande vermarkten lässt, und es wird gemutmaßt, dass das Team mit Ullrich einen potenten Ko-Sponsor bekommt, der Dahms entlastet. Deshalb lobt nun selbst der Sportliche Leiter Wolfram Lindner den Ullrich-Trainer Peter Becker, obwohl ihre Rivalität branchenweit bekannt ist.

Noch aus gemeinsamen Zeiten im Dienste des DDR-Sports rühren Animositäten zwischen den früheren Staatstrainern Becker und Lindner, und Becker hatte Lindner lauthals die Kompetenz abgesprochen eine Profimannschaft zu führen, als dieser bei Coast anheuerte. Jetzt nennt Lindner Becker einen „alten Weggefährten“. Auch die möglichen Konflikte zwischen Ullrich und den bisherigen Spitzenfahrern Alex Zülle und Angel Casero spielt Lindner herab: „Das sind Kleinigkeiten. Alle werden sich freuen, einen solchen Fahrer in ihren Reihen zu haben.“

Bei Telekom freute man sich über den kapriziösen Star zuletzt hingegen nicht mehr so richtig. Teamchef Godefroot baute das Team konsequent zu einer internationalen Mannschaft um. Als ihn nun Rudy Pevenage verließ, um sich dem bedürftigen Ullrich zu widmen, sagte Godefroot nur knapp: „Die Friedhöfe sind voll von Leuten, die glaubten, sie seien unersetzlich.“ SEBASTIAN MOLL

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