KUNSTRUNDGANG: Brigitte Werneburg schaut sich in den Galerien von Berlin um
Nicole Eisenman, die bei Barbara Weiss eine herausragende Ausstellung zeigt, versteht sich als Künstlerin wie Aktivistin. Als solche fordert sie einen „National Crying Day“, was meine volle Unterstützung findet, besonders im Fall eines republikanischen Wahlsiegs. Aber um Politik geht es Nicole Eisenman diesmal weniger. Sie forscht dem Weinen als besonderem Vermögen des Menschen, seinen Gefühlen Ausdruck zu geben, in mehreren 6- bis 8-teiligen Monoprintserien von tränenüberströmten Gesichter nach. Auch in den großen Ölgemälde, etwa „Brooklyn Biergarten II“, schaut sie, wie die Menschen mit ihren Nöten und Sorgen im Alltag zurechtkommen; wie sie versuchen fröhlich zu sein und wie Trauer und Bestürzung doch in ihren Gesten durchbrechen. Wie Eisenman das wiederum malerisch meistert, ist hinreißend. Für die Lampions, die sie in ihren Manet-Biergarten hängt, hat sie die Sonne von van Gogh geklaut und die Mienen ihrer Sorgenkinder bei Edvard Munch. Man könnte sagen, auch Laura Padgetts Fotos, gerne Diptychen, handelten von „Coping“, wie Eisenmans Ausstellung heißt. Vom Bewältigen des Traumas der Moderne. Denn es geht Padgett um den Zusammenstoß des privaten Raums, der noch von Tradition bestimmt ist, und dem Modernismus des öffentlichen Raums. Exemplarisch wird dies in „Deep Space with Turban“ (2007), einem Bild, das eine in blaurotes Neonlicht getauchte Softdrinkbar neben einem Lebensmittelladen in Istanbul zeigt, den das Mosaik eines Turbanträgers ziert und vor dem auf der Straße ein Ledersessel und eine Wasserpfeife stehen. Es sind meist ganz subtile inhaltliche, formale und gedankliche Assoziationen, die das Private mit dem Öffentlichen zu versöhnen versuchen. Ute Ludwigs Schattenrisse, die Uli Seitz mit Laura Padgetts Fotos kontrastiert, vollziehen diesen Prozess dann in der Abstraktion.
Nicole Eisenman: „Coping“, bis 18. Oktober, Di.–Sa. 11–18 Uhr, Galerie Barbara Weiss, Zimmerstr. 88–89 Ute L. Ludwig/Laura Padgett: „Holding onto Things“, 18. Oktober, Di.–Sa. 12–18 Uhr, Galerie Seitz & Partner, Friedrichstr. 210
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