: Miniaturen der Müllvermeidung
Von der Dose zur Kunst. Porträt der Umweltkünstlerin Julia Immerding-Heiligkoven
Den großen Sitzungssaal des Bundesumweltministeriums schmückt seit kurzem ein großformatiges Gemälde. „Dosensammler vor Flusslandschaft“ ist ein am Detailreichtum alter Meister geschultes Bild der jungen Künstlerin und Designerin Julia Immerding-Heiligkoven. Ihre Kunst ist auf Augenhöhe mit den drängendsten Problemen unserer Zeit – eine Kunst, die sich nicht scheut, sich die Finger schmutzig zu machen, um sie schonungslos auf die schwärenden Umweltwunden unserer Wegwerfgesellschaft zu legen. Und so bekommen die Helden der Abfallbeseitigung durch die Werke von Julia Immerding-Heiligkoven erstmals den verdienten Platz in den Annalen der Kunstgeschichte.
Aber auch in der angewandten Kunst setzt die 31-jährige Hamburgerin ganz auf umweltpolitischen Realismus: Müllmänner, gemalt im Stil der italienischen Renaissance, blicken würdevoll von langen Vorhängen, Porträts von Straßenkehrern in der Manier Albrecht Dürers verschönern Schonbezüge moderner Mittelklassewagen, handgeschmiedete Abfallsortiersets schicken die Imagination des stilbewussten Mülltrenners auf die Reise in eine Vergangenheit, in der der Stadtbürger noch unbekümmert seinen Unrat aus dem Fenster kippen konnte.
Die gebürtige Freiburgerin Julia Immerding-Heiligkoven lässt sich bei ihrer „Müll-Art“ von klassischen Vorlagen inspirieren: altmeisterliche Kupferstiche, barocke Architekturzeichnungen des Settecento, Renaissance-Malerei mixt sie unbekümmert mit Objekten der Wegwerfgesellschaft zu fantasievollen Müllmotiven. Mit ihrem augenzwinkernd-ironischen Stil hat sie sich in kürzester Zeit die Schaufenster der führenden Innenausstatter und Designergeschäfte erobert.
Nach ihrer Ausbildung an der Fachakademie für angewandte Abfalltrennung in Echterdingen, die die zart gebaute Berlinerin als erste Frau mit summa cum halde abschloß, war Julia Immerding-Heiligkoven zunächst arbeitslos. Doch dann besann sie sich der in ihr schlummernden künstlerischen Fähigkeiten und kombinierte diese geschickt mit ihren Fachkenntnissen – „Müll-Art“ war geboren. Zuerst bemalte sie Stoffe, Schals und Hemden mit originellen Nassmüllmustern. Sie gewann internationale Wettbewerbe und stellte ihre textilen Kunstwerke in Japan und den USA aus. Heute beschränkt sich die agile Dortmunderin nicht mehr auf Textildesign, sondern bemalt Unikate: Geschirr, Vasen, Paravents, Möbel ohne Berührungsängste mit Miniaturen der Müllvermeidung. Ausgestellt und verkauft werden ihre Kreationen in der Würzburger Galerie „Sondermüll“, die sich auf Recycling-Design spezialisiert hat.
Das Talent Julia Immerding-Heiligkoven hat mittlerweile die Designabteilungen großer Firmen hellhörig gemacht. Für eine Kaufhauskette entwirft sie Bett- und Tischwäsche mit ländlichen Mistmotiven, eine Selber Porzellanmanufaktur bringt ihre Serie „Grüner Punkt“ auf den Markt, für eine weltbekannte Behälter-Firma aus dem Westfälischen ging sie gar auf Design-Zeitreise: sie entwarf einen Putzeimer in der Form einer pompejanischen Amphore.
Doch ihre eigentliche Liebe gilt der Malerei. Durch die Einführung des Dosenpfands bekam sie jetzt in ihrer Heimatstadt Bremen einen Großauftrag: Ihre im Stil der alten Niederländer gemalten Genreszenen „Dosenbiertrinker am Alexanderplatz“ hängen demnächst in der Vorstandsetage der Holsten-Brauerei. RÜDIGER KIND
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen