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Leere Kassen durch geringe Einnahmen und höhere Löhne

Die wachsende Geldnot zwingt viele Kommunen, so auch Jena in Thüringen, städtische Aufgaben entweder zu vernachlässigen oder auszugründen

BERLIN taz ■ „Ab 17 Uhr gucken die Leute bei uns in die Röhre“, ärgert sich Volker Blumentritt. Das tut der Ortsbürgermeister der Plattenbausiedlung Lobeda im thüringischen Jena nun schon seit vier Jahren. Seitdem warten die rund 24.500 Einwohner auf ein neues Freizeitzentrum. Das alte war abgebrannt. Geld für den Neubau hat die Stadt nicht. Wer sich abends amüsieren will, muss den langen Weg in die Innenstadt auf sich nehmen.

Dorthin fahren seit einigen Jahren moderne Straßenbahnen. Die werden künftig seltener von Angestellten im öffentlichen Dienst gelenkt. Denn vor einem halben Jahr gründete die Jenaer Nahverkehrsgesellschaft eine Tochterfirma namens JVS, über die nun alle neuen Fahrer eingestellt werden. Vorteil dieser Regelung: Die Straßenbahnfahrer müssen nicht nach dem Tarif des öffentlichen Diensts bezahlt werden. Auf lange Sicht wird das Geld sparen.

Das Freizeitzentrum und die ausgegründeten Straßenbahnfahrer sind nur zwei Beispiele dafür, wie Jena seine klamme Kasse in den Griff bekommen will. „Das Jahr 2003 markiert für uns das Ende der Haushaltskonsolidierung“, sagt Kämmerer Frank Jauch (SPD). Seinen rund 200 Millionen Euro teuren Etat wird er in diesem Jahr mit 4 Millionen Euro neuen Schulden ausgleichen müssen. 2 Millionen Euro kostet ihn der gestrige Tarifkompromiss im öffentlichen Dienst. Schon jetzt liegt Jena mit 1.300 Euro Miesen pro Einwohner über dem ostdeutschen Durchschnitt.

„Wegen der knappen Kassen verlieren die Jenaer Stadträte an politischem Einfluss“, fürchtet der grüne Fraktionschef im Jenaer Stadtrat, Marco Schrul. Um kurzfristig an Geld zu kommen, habe die Stadt beispielsweise die Städtische Wohnungsgesellschaft an die Stadtwerke verkauft. Weil die bereits den Nahverkehr betreiben, bestimmen jetzt Finanzprofis über die Fahrpreise für Busse und Bahnen und die Wohnungspolitik. „Als ehrenamtlicher Freizeitpolitiker sitzt man in den Beratungsgremien meistens am kürzeren Hebel“, so Schrul.

Auch für Jugendliche ist immer weniger Geld da, denn Lohnsteigerungen werden nicht durch Haushaltskürzungen aufgefangen. Deshalb betreiben so genannte freie Träger inzwischen viele der Jenaer Jugendprojekte. Die Gehälter der dort beschäftigten Jugendarbeiter orientieren sich allenfalls am öffentlichen Dienst, liegen aber generell darunter. Wieder eine Möglichkeit zu sparen. „Wenn wir diesen Trend nicht stoppen“, meint Schrul, „zahlen wir irgendwann drauf.“ Wer den Jugendlichen keine sinnvolle Freizeit anbiete, werde später Geld für deren Resozialisierung ausgeben müssen.

Die Finanznot der Stadt Jena nach dem Tarifabschluss allein den Gewerkschaften anzulasten, wäre aber verkehrt. Vor allem die ausbleibende Gewerbesteuer reißt immer neue Löcher in den Haushalt. In der Vergangenheit sorgte die Saalestadt nur noch selten für positive Schlagzeilen in der Wirtschaftspresse. Die vergleichsweise zahlreichen Firmen der New Economy zahlen keine Steuer, weil sie nur Verluste produzieren. Und auch einer der größten Arbeitgeber der Region, die Jenoptik, hat noch nie einen Cent Gewerbesteuer bezahlt.

MATTHIAS BRAUN

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