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Politischer Taktiker par excellence

Venezuelas Gewerkschaftsboss Carlos Ortega ist der Drahtzieher des Dauer-Generalstreiks gegen den Präsidenten

Er ist ein Freund der markigen Sprüche. Und wenn er richtig draufhaut, dann klingt das so: „Präsident Chávez will Krieg, und ich bin bereit zu sterben, bevor er uns zu Grunde regiert.“ Oder: „Die einzigen Kriminellen in Venezuela sitzen in der Regierung.“ Bei solchen Sätzen setzt er ein Gesicht auf, das sagt: Mich kriegt ihr nicht so schnell klein.

Carlos Ortega, 57, ist der Scharfmacher der Opposition gegen Präsident Hugo Chávez. Den vorlauten Präsidenten und den ungehobelten Gewerkschaftsboss verbindet eine lange Feindschaft – schon seit geraumer Zeit predigt Ortega: „Chávez muss weg.“ Nur warum, kann er nicht so genau sagen.

Seit dem 2. Dezember legt die Opposition das Land mit einem Generalstreik lahm, um Chávez zu stürzen. Einer der wichtigsten Drahtzieher: Carlos Ortega. Sein Argument: „Chávez ist kein Demokrat.“ Aber das ist Ortega auch nicht. Als am 11. April 2002 aufständische Militärs den gewählten Chávez für 48 Stunden aus dem Amt putschten, witterte Ortega Morgenluft. Eilig befahl er einen Generalstreik, um den Putsch zu unterstützen, und forderte die Auflösung des Parlaments. Als das Blatt sich wendete und Chávez zurückkehrte, verzog sich Ortega schnell in die zweite Reihe der Aufständischen.

Als Monate später die Opposition gegen Chávez wieder Kräfte sammelte, war Ortega wieder da. Verwunderlich ist das nicht. Seit 1974 ist er Gewerkschaftsmann, und Konflikte sind sein Geschäft. Kaum einer beherrscht das politische Einmaleins des Taktierens so wie er. Damit hat er es weit gebracht. Im September 2001 setzte er sich gegen den Widerstand von Chávez bei den Wahlen zum Präsidenten des Gewerkschaftsdachverbands CTV durch. Zuerst versuchte Chávez einen eigenen Kandidaten durchzuboxen – vergebens. Danach erkannte er Ortega als CTV-Chef nicht an, doch es half nichts.

Chávez’ Skepsis hat einen Grund: Ortega hatte schon damals zahlreiche Ölstreiks gegen Chávez angezettelt. Jetzt tüftelt er allabendlich im Fernsehen an einem Plan für Chávez’ Sturz. Mit auf Sendung: der Chef des Unternehmerverbandes, Carlos Fernández, und der Anführer der aufständischen Ölmanager, Juan Fernández. Seine beiden Kampfgenossen schauen peinlich berührt, wenn Ortega lospoltert und Chávez den „Barbaren im Präsidentenpalast“ nennt.

Doch die Arbeitsteilung ist Teil der Taktik: Ortega ist der Bluthund für die Arbeiter, die beiden Herren mit Krawatte versuchen die Reihen der kämpfenden Unternehmer geschlossen zu halten. Juan Fernández sagt: „Ortegas Welt und meine, das sind zwei verschiedene, und das muss auch so bleiben.“ Einerseits. Andererseits ist Ortega ein Gewerkschafter des Establishments, der es bis ins Direktorium des staatlichen Erdölkonzerns Petróleos de Venezuela (PDVSA) gebracht hat.

Aber in einem unterscheidet er sich von seinen Gefährten: Er verliert nie die Lust am Streit. Je länger der Streik läuft, umso verbissener wird Ortega. Ihm ist klar, „der Kampf geht weiter, bis Chávez weg ist“ – wenn nötig mit den wildesten Argumenten. Kürzlich präsentierte er einen ehemaligen Piloten des Präsidenten, der behauptete, Chávez habe 1 Million Dollar an al-Qaida gespendet. Danach trat im TV jemand auf, der den Venezolanern weismachen wollte, Chávez habe sich die wirtschaftlichen Folgen des Streiks vorhersagen lassen – mittels Hexerei. INGO MALCHER

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