: Tolerance for Terrornest
Rudolph Giuliani – New Yorks Ex in Hamburg: Er verbindet die Hansestadt überhaupt nicht mit dem internationalen Terrorismus. Erwin Senff darf seine Meinung trotzdem erst vor dem Rathaus äußern, als Giuliani weg ist
von SANDRA WILSDORF
Gestern, im Hamburger Rathaus: Was er denn so für Gefühle habe, ausgerechnet hier, in Hamburg, fragt ein Journalist New Yorks Ex-Bürgermeister, Rudolph Giuliani. Der blickt fragend. Der Journalist erläutert: Einige der Attentäter vom 11. September, die hätten doch hier studiert, einer stehe doch jetzt vor Gericht. Giuliani versteht. Ach das. „Ich kann da gar keine Verbindung sehen“, sagt er. Innenstaatsrat Walter Wellinghausen hatte kürzlich von einer USA-Reise noch die Kunde mitgebracht, dort sprächen alle nur über das „Terrornest“ im Norden Deutschlands. Und nun dieser Freispruch Erster Klasse.
Jede Stadt könne als Untergrund dienen, sagt Giuliani, das sei doch nicht Teil der Stadt und ihrer Menschen. „Hamburg ist ein starker Verbündeter der USA“, sagt der Republikaner, der für seine „Zero-Tolerance“-Politik der gnadenlosen Kriminalitätsbekämpfung ebenso berühmt wie umstritten war, als ihn die Terroranschläge des 11. Septembers in eine neue Rolle schlüpfen ließen. Er war tagelang überall, sprach die richtigen Worte in die Mikrofone und wurde zur Vaterfigur New Yorks und für das Time Magazine gar „Mensch des Jahres“.
Inzwischen ist Giuliani Privatier, betreibt eine Sicherheitsfirma, die gerade Mexico City sicher machen soll, er will seine Geliebte heiraten und war gestern für einige Stunden in Hamburg. Auf Einladung der jüdischen Wohlfartsorganisation Keren Hayesod, die unter anderem Spenden für die israelische Feuerwehr sammelt, damit die die Bürger in Zeiten des Terrors besser schützen kann.
Vorsitzender von Keren Hayesod Deutschland ist Andreas Wankum, ehemaliger Schatzmeister der Hamburger CDU. Und so öffneten sich gestern Rathaus und Goldenes Buch für Guiliani: Bürgermeister Ole von Beust, Bürgerschaftspräsidentin Dorothee Stapelfeldt, Innensenator Ronald Schill, Starfriseurin Marlies Möller, Kultursenatorin Dana Horáková und etwa 500 weitere Gäste aus Politik und Wirtschaft, alle waren sie gekommen, um Giuliani zu sehen.
Einer war jedoch gekommen und nicht erwünscht: Egon Senff steht häufiger neben dem Eingang des Rathauses und stellt auf Plakaten Fragen wie diese: „Wer ist ein Schurkenstaat? Israel – USA – Irak? Bürger, denkt nach.“ Eine Weile steht er da ganz unbehelligt, doch dann schicken ihn zwei Polizisten an den Rand des Rathausmarktes. Sie erklären das mit „Sicherheit“ und „Bannmeile“. Sein Mofa bleibt neben dem Eingang stehen. Senff geht – unter Protest: „Das ist doch nichts als freie Meinungsäußerung. Ich lass mich doch nicht von so ein paar Politikern an meinem Recht hindern.“ Lässt er dann aber doch. Gerade noch rechtzeitig, bevor Giuliani eintrifft.
Dabei bekennt der sich so heftig zu Freiheit und Demokratie, er hätte wahrscheinlich gar nichts gegen Senff gehabt. Denn auch mit Meinungsverschiedenheit hat Giuliani kein Problem: „Die gibt es innerhalb der USA. Es gibt sie innerhalb Deutschlands. Es gibt sie unter Freunden.“ Und es gebe auch Meinungsverschiedenheiten zwischen den USA und Deutschland. „Demokratien können unterschiedlicher Ansicht sein. Aber deswegen bekriegen sie sich nicht.“
Überhaupt dominiert das Wortpaar Demokratie und Freiheit seine Rede: „Menschen, die in Freiheit und Demokratie leben, sind Menschen überlegen, die unterdrückt werden“, nennt er eine seiner Lehren aus dem 11. September. Denn die Bewohner freier Staaten hätten etwas, „wofür es sich zu leben und zu sterben lohnt“. Israel bezeichnet Giuliani als einen „Außenposten von Demokratie und Freiheit“, in einem Teil der Welt, in dem das unbekannt sei. Der Gedanke an Israel, „ wo die Menschen zur Arbeit gehen und abends ins Bett, ohne zu wissen, wer morgen noch lebt und wer nicht mehr“, habe ihm nach den Terroranschlägen „Kraft gegeben“.
Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust hat Giuliani übrigens „aus dem Herzen gesprochen“, als er in einem Interview einmal sagte: „Ich bin konservativ in der Außenpolitik. Ich bin konservativ in der Innenpolitik, aber sozial in der Sozialpolitik.“
Nach gut zwei Stunden ist Giuliani dann schon wieder weg – am Abend stellte der Ex-Bürgermeister in Berlin sein Buch vor, das den Titel trägt: „Leadership – Verantwortung in schwieriger Zeit“. Als der Konvoi aus Polizeiwagen und schwarzen Limousinen sich mit heulenden Sirenen vom Rathausmarkt entfernt hat, darf auch Erwin Senff sich wieder mit seinem Plakat neben die Rathaustür stellen.
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