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Brave new Hartz-World

Die Verunsicherung ist riesig: Gestern veranstaltete die Arbeitnehmerkammer eine ausgebuchte Tagung über die Auswirkungen des Hartz-Konzepts. Veranstaltungsreihe zu Einzelthemen folgt

Seit Mitte der 70er wurde die „Zumutbarkeit“ schon acht Mal verschärft

taz ■ „Wir sind von unserer eigenen Veranstaltung überrollt worden“, sagt Heinz Möller, der Geschäftsführer der Arbeitnehmerkammer in Bremen. Für ihre Fachtagung „Schöne neue Arbeitsmarktpolitik? Das Hartz-Konzept“ hatten sie mit 80 bis 100 Anmeldungen gerechnet, gekommen waren fast 300 TeilnehmerInnen, vor allem Betriebs- und Personalräte und VertreterInnen von Arbeitslosen-Initiativen. „Wir mussten in der vergangenen Woche sogar noch Absagen rausschicken“, bedauert Organisatorin Hella Baumeister. Die Arbeitnehmerkammer war schon mit der Tagung in die deutlich größeren Räumlichkeiten des World Trade Center umgezogen.

Hella Baumeisters grundsätzliche Kritik zielt auf die Hast, mit der die Vorschläge der Hartz-Kommission in Gesetze gegossen und gültig geworden seien: „Am 23. Dezember gab es das Gesetz, seit dem 1. Januar ist es gültig – und dazwischen war Weihnachten.“ Die Referentin für Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik Baumeister erinnert: Seit knapp einem Jahr existiere das Kombi-Lohn-Modell, in Bremen ein Flop: Innerhalb des ersten Jahres habe es in Bremen ganze 166 Fälle gegeben, in Bremerhaven 19. Das „Job-Aqtiv“-Gesetz sei erst im Januar 2002 in Kraft getreten. Es folgte die Ausgabe von Vermittlungsgutscheinen im vergangenen Jahr, die in Bremen nicht so angenommen worden sei wie erhofft: Ganze 44 Gutscheine von angepeilten 1.000 seien eingelöst worden. Seitdem sei zu wenig Zeit vergangen, um Auswirkungen ablesen zu können. „Und jetzt gibt es mit Hartz schon wieder was Neues.“

Inhaltlich gestritten wird über unterschiedlichste Punkte des Konzepts, etwa über die „neue Zumutbarkeit“, die noch höhere Anforderungen an die Mobilität stellt. Klaus Brandner, Hartz-Befürworter und wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, argumentierte, dass es besser sei, jemandem aus einer Region mit schlechter Vermittlungsperspektive nahezulegen, nicht dort auszuharren. Heinz Möller dazu: Seit Mitte der 70er Jahre seien die Zumutbarkeitsregelungen im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit acht Mal verschärft worden. Trotzdem habe die Arbeitslosigkeit weiter zugenommen. Heute würden in Bremen bereits 40 Prozent der ArbeitnehmerInnen aus Niedersachsen kommen, umgekehrt gebe es 10 Prozent „Auspendler“, die BremerInnen seien also mobil.

Baumeister referierte, Hartz sehe vor, dass bei einer schlechten Vermittlungsprognose ein Arbeitsloser schon ab dem ersten Arbeitslosigkeitsmonat bundesweit vermittelbar sein soll. Man müsse im Auge behalten, ob durch solche Mobilitätsforderungen nicht „ganze Regionen ausbluten“ könnten. Außerdem müßten erst einmal Arbeitsplätze vorhanden sein, argumentierte sie weiter. In diesem Zusammenhang könnte die Meldepflicht für freie Arbeitsplätze seitens der Unternehmen sinnvoll sein. Baumeister zielte damit auf die bundesweit angeblich 1,5 Millionen freien Stellen ab, von denen seitens der Wirtschaft gesprochen werde. Im Land Bremen stellt sich die Arbeitsplatzsituation aktuell wie folgt dar: 41.703 registrierten Arbeitslosen stehen 3.791 registrierte freie Stellen gegenüber. Das hieße, auf eine Stelle kämen 11 Arbeitslose, so Baumeister. Die Bremerhavener Situation mit 19,1 Prozent Arbeitslosigkeit sei mit der Situation im Osten der Republikvergleichbar.

Ein Teilnehmer stellte einen Zusammenhang zwischen Mobilitätsanforderungen und der Zunahme der Leiharbeit her – einem weiteren Hartz-Ansatzpunkt: „Wie soll ein aus Dresden nach München vermittelter Leiharbeiter bei einem Stundenlohn von 5,60 Euro die dortigen Mietpreisen für eine Wohnung bezahlen?“

Ulrike Bendrat

Die Arbeitnehmerkammer gibt eine Tagungsdokumentation heraus. Außerdem folgen Veranstaltungen zu „PersonalServiceAgenturen (PSA)“, „Niedriglohnsektor“ und „Weiterbildung“

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