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Minderheitenschutz: ungenügend

Deutschland verstößt gegen Kriterien für EU-Beitrittsländer und ignoriert EU-Richtlinien

BERLIN taz ■ Deutschland hätte schlechte Chancen, wenn es sich heute um die Aufnahme in die EU bewerben würde. Zu diesem harten Urteil kam jetzt eine internationale Expertengruppe, die im Zuge der EU-Osterweiterung die Einhaltung der „Kopenhagener Kriterien“ von 1993 überprüft. Was den Schutz von Minderheiten betrifft, erfülle Deutschland nicht die Voraussetzungen für potenzielle Beitrittsländer. In den „Kopenhagener Kriterien“ von 1993 hatte der Europäische Rat von den Kandidaten unter anderem eine Garantie für „die Achtung und den Schutz von Minderheiten“ verlangt.

Für die große Mehrheit der Sinti und Roma in Deutschland jedoch sei Diskriminierung und Ausgrenzung weiterhin „eine tägliche Realität“, heißt es in einer Studie des „EU Accession Monitoring Programs“ zur Lage der Sinti und Roma in Deutschland, die gestern in Berlin vorgestellt wurde. Zwar werde die abwertende Bezeichnung „Zigeuner“ in der Öffentlichkeit kaum noch verwendet. Die Vorurteile gegenüber Sinti und Roma seien damit aber ebenso wenig verschwunden wie die Benachteiligung im gesellschaftlichen Leben.

„Das Interesse an diesem Thema ist äußerst begrenzt“, stellte die Autorin der Studie, Alphia Abdikeeva, fest. Auf Anfragen an Politiker aller Parteien hätten lediglich die Ausländerbeauftragten der Bundesregierung und die Brandenburgs reagiert. Dies sei bezeichnend für ein Politikverständnis, in dem Sinti und Roma nach wie vor als „Ausländer“ behandelt würden, obwohl viele inzwischen die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. „Es ist außerordentlich enttäuschend, wie sich die rot-grüne Regierung verhält“, sagte der Vorsitzende der Gesellschaft für bedrohte Völker, Tilman Zülch.

Die Liste der Missstände ist genauso lang wie zu CDU/FDP-Zeiten. Nach den Erkenntnissen der Studie sind Sinti- und Romakinder „ernsthaft benachteiligt, was den Zugang zu Bildung und Ausbildung betrifft“. Die Arbeitslosigkeit unter Sinti und Roma sei „erschreckend hoch“ und neben mangelnder staatlicher Förderung im Schulsystem auf „Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt“ zurückzuführen.

Auch den Behörden stellt die Studie ein schlechtes Zeugnis aus und berichtet von „weitverbreiteter Diskriminierung beim Zugang zu öffentlichen Einrichtungen und Dienstleistungen“. Deutschland sei verpflichtet, so die Autoren, bis zum Juli eine EU-Richtlinie zur Gleichbehandlung von Minderheiten umzusetzen. Das von Rot-Grün mehrmals angekündigte „Antidiskriminierungsgesetz“ lässt jedoch immer noch auf sich warten.

LUKAS WALLRAFF

Studie: www.eumap.org

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