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Tierfutterladen und Countryband

Der neue Lübecker Hochschulstadtteil gilt als ehrgeiziges Bauprojekt. Südlich des Uni-Geländes wird ein Viertel geschaffen, in dem Studenten, Familien und Senioren wohnen sollen. Bisher fehlt es an Lebendigkeit, wie ein Spaziergang zeigt

VON ROBIN RIEPRICH

Christian Meier hat optimistische Visionen von der Zukunft des Lübecker Hochschulstadtteils. „Generationen werden hier zusammen leben, lernen, arbeiten und ihre Freizeit verbringen“, sagt der Marketingbeauftragte des Bauprojektes. Auf der 115 Hektar großen Fläche, rund drei Kilometer südlich der Lübecker Innenstadt, haben bereits ein Einkaufszentrum und soziale Einrichtungen eröffnet. Die ersten Häuser wurden schon 2003 bezogen. In den nächsten Jahren soll ein Wissenschafts- und Technologiepark folgen, womit der Stadtteil Wohnen und Arbeit vereinen könnte.

Doch noch erscheint dem Spaziergänger das Gebiet als Mischung aus ausgestorbener Vorstadtidylle und Baustelle. Die schon bezogenen Häuser sind fröhlich bunt angestrichen, rot, blau, orange und dann wieder rot. In den Vorgärten sieht man gepflegte Blumenbeete, Kinderspielzeug und Gänse aus Keramik. Doch der „Carlebach Park“ im Zentrum des Gebietes, der laut Christian Meier „Verbindungsachse zwischen Stadtteil und dem Universitätsgelände“ darstellen soll, ist fast menschenleer. Die Bäume sind frisch gepflanzt und so klein, dass sie sich im Wind biegen. Es ist ruhig, der Stadtteil ist mit dem Auto lediglich über zwei kleine Zufahrten vom Süden her erreichbar. Nur hier und da hört man Baulärm. Die verlassenen Wippen und Klettergerüste sehen sauber und unbenutzt aus. Einzig eine Kindergartengruppe tobt einsam auf der Wiese vor einer gespenstischen Kulisse aus Bauzaun, Kran und Baggern.

Die Kälte kommt nicht nur vom Wind, der über die Wiese des Parkes zischt: Die Architekten des Stadtteilzentrums scheinen eine Vorliebe für Rechteckiges zu haben. Kindergarten, Grundschule, Einkaufszentrum und Polizeiwache sind in modernen, aber klobigen Betonkästen untergebracht.

Hier soll das „soziale Herz“ des Stadtteils schlagen. Doch Supermarkt, Apotheke und Elektro-Discounter sind kaum besucht. Wohnt schon jemand hier? Der Schuhverkäufer aus dem Einkaufszentrum winkt ab. Er kommt aus Rendsburg. Aber zumindest der Student, der rauchend vor dem Audimax der benachbarten Lübecker Universität steht, könnte im Viertel wohnen.

Er verneint. „Die Studenten leben in St. Jürgen oder in der Lübecker Altstadt“, erklärt er. Dort seien die Kneipen und Cafés. „Ich kenne niemanden, der im Hochschulstadtteil wohnt.“

Im Kindergarten holt eine junge Frau ihre kleine Tochter ab. Ja, sie lebt mit ihrer Familie im Stadtteil. „Die Angebote für Kinder sind gut, deshalb sind wir hierher gezogen“, sagt die Mutter, bevor sie von ihrem ungeduldigen Kind zur Tür gezogen wird.

Für Familien wird im Hochschulstadtteil offenbar einiges getan, davon zeugt das schwarze Brett der Kita. Gerade hat eine neue Krippe aufgemacht, und es wird Blockflötenunterricht und Turnen angeboten.

Plötzlich fängt das Herz des Stadtteils an zu pochen: Die Countryband „Truck Stop“ ist auf Einladung des Supermarktes zur Autogrammstunde eingetroffen. Die in die Jahre gekommenen Herren mit Cowboyhüten locken etwa hundert Vertreter der 50-plus-Generation ins Center. Derzeit werden auch betreute Seniorenwohnungen im Viertel errichtet, die ab 2009 bezugsfertig sind. Ein medizinisches Zentrum soll folgen.

Aber wo in diesem Hochschulviertel sind die Studenten? Die Universität und die Fachhochschule grenzen direkt an den Carlebach-Park, von dort sind es nur zehn Gehminuten zum Stadteilzentrum des Neubaugebietes. Dort, an einem schäbigen Kiosk, stehen einige Kommilitonen, trinken Kaffee und rauchen. Ein paar sitzen bei einer Pommesbude und essen zu Mittag. Trotz der modernen Bauweise scheint das neue Viertel auf die Studenten ähnlich abschreckende Wirkung zu haben wie Klassische Musik auf unliebsame Besucher am Hamburger Hauptbahnhof. Nichts zieht sie dort hin. Für Blockflötenunterricht sind sie zu alt.

Die Studenten am Kiosk kennen das Gebiet kaum, sagen sie, nur das neue Studentenwohnheim dort ist ihnen ein Begriff. Auch dieses ist bunt gestrichen, lila mit rosa Streifen. Innen riecht der Bau nach Plastik. Hier sind Austauschstudenten untergebracht. Ein junger Israeli nennt das Hochschulviertel „boring“. Klar, die Uni sei gleich um die Ecke. Man könne super einkaufen und auch der Tierfutterladen sei nicht schlecht, wenn man ein Haustier habe.

Ein wohnungssuchender Architekturstudent ist optimistischer. „Es ist ja alles noch im Aufbau, in drei Jahren sieht das hier alles ganz anders aus.“ Und auch Christian Meier erklärt: „Sicherlich ist im Moment noch wenig Studentenleben im Stadtteil, aber dies wird sich ändern, wenn ab Februar 2009 etwa 500 Mietwohnungen fertig werden.“ Einige Wohnungen seien günstig und WG-geeignet, sodass viele Studenten in den Stadtteil ziehen würden.

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