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Höllenfahrt auf Teetablett

In Deutschland steht Skeleton immer noch im Schatten der Rodler. Ein verjüngtes deutsches Team soll bei der WM in Nagano die Kopfüber-Schlittenfahrt hierzulande endlich bekannter machen

von MARKUS VÖLKER

„Zur Hölle und zurück auf einem Teetablett“, heißt es von den Erfindern der Bäuchlingsfahrt. Es geht mit Tempo 130 zu Tal. Kräfte wirken, die fünfmal höher sind als die Erdbeschleunigung. Begleitet wird das Wagnis von der Gefahr, dass das Skelett (englisch: Skeleton) durch knallhartes Anbandeln, durch Stürze und Überschläge mehr oder minder verformt werden könnte. Vor allem der sehr einfach gebaute Schlitten war es, der die betuchten Engländer, die ihre Winter im schweizerischen Engadin, genauer: St. Moritz, verbrachten, an ein Skelett gemahnte. Dieses simple Höllending, bis heute fast unverändert, lud zu einer Todesfahrt im „Cresta Run“ ein, jener legendären Natureisbahn, in deren Shuttlecock-Kurve Generationen von Gaudiburschen, Snobs und Aristokraten vom Schlitten und umgehend in die Ambulanz stiegen.

Die Winterspiele ennuyierter Flachländer im Alpenraum gehören zu den Legenden der Sportart, die seit Salt Lake City wieder auf dem Olymp angekommen ist und deren moderne Exegeten nicht viel gemein haben mit der elitären Attitüde englischer Draufgänger aus gutem Hause. Vielmehr nähert sich Skeleton der gesichtslosen Perfektion des Rodelns an. Das amerikanische Fernsehen hatte die Attraktivität der waghalsigen Sportart erkannt. Es geht unterhaltsamer als im Rodeln zu. Der Zuschauer kann die Fehler besser lesen, auch die Steuerkünste der Kopf-voran-Hasardeure gut ins Auge nehmen. Im US-TV nimmt Skeleton weit mehr Sendezeit als Rodeln ein. Hierzulande ist das Verhältnis umgekehrt, weil Hacklschorsch und Ottosylke in Erfolgen ertrinken.

Beide Sportarten haben (noch) so viel gemein wie das Transistorradio mit einer Dolby-Surround-Anlage. Dafür hat auch der Weltverband Sorge getragen, der am fleischlosen Schlittenskelett festhielt und die Tendenz zum Tuning unterband. Er verbot zum Beispiel die Hightech-Kufe, was vor allem die deutschen Athleten auf die Palme brachte, weil sie den Innovationsvorsprung der Rodler zu übertragen gedachten. Am Ende landeten mehr als 50 Kufen mit feinstem Schliff im Müll und die Deutschen weitab von olympischen Medaillenrängen.

Mittlerweile haben sich die Tüftler vom Institut für Forschung und Entwicklung (FES) der Skelettisten angenommen. Die Materialkrise scheint überwunden. Doch vom Junktim Rodel-Skeleton will der hiesige Verband nicht ablassen. So wurde der Exrodler Jens Müller, 1988 Olympiasieger in der Rückenlage, an höchster Stelle zum Bundestrainer erkoren. Müllers Empfehlung: Er ist noch kein einziges Mal bäuchlings hinabgefahren. Müller sagt: „Wichtig ist, dass man die Zusammenhänge kennt, da bin ich noch in der Lernphase.“ Der Quereinsteiger zollt seinen angstlosen Schützlingen, die ihm an Erfahrung so viel voraus haben, freilich Respekt: „Früher hab ich die ein bisschen belächelt“, sagt er, „jetzt weiß ich: Die fahren die Kurven so, dass mir als Rodler schwindlig geworden wäre.“ Gemeinhin hält die eine Schlittensparte nicht viel von der anderen. Rodler meinen, die Brüder auf dem Bauche holpern nur dilettantisch herab, die Skeletonis haben über die anderen eine Meinung wie der Stuntman vom Schauspieler, der sich nicht traut.

Das von Müller angesprochene Schwindelgefühl überkam auch Skeleton-Pilot Thomas Platzer – jedoch als unerwünschte Nebenwirkung der Einnahme von Stanozolol, einer steinzeitlichen Dopingsubstanz. Platzer wurde unlängst erwischt, gestand aber mutig sein Vergehen ein. Er ist also nicht mehr im Kader, wie auch die in der Vergangenheit erfolgreichen Fahrer Willi Schneider und Andy Böhme. Der Bundestrainer fackelte nicht lang und verjüngte das Team radikal. Die Alten flogen nach schlechten Leistungen raus, der Nachwuchs wurde befördert. Sie müssen sich bei der WM, die ab heute in Nagano ausgetragen wird, beweisen. Müller: „Wir müssen an die Zukunft denken und alles versuchen, um bei den Herren wieder Anschluss an die Weltspitze zu bekommen.“ 2004 findet die WM in Königssee statt, da seien die Erwartungen groß. Wer weiß, ob Müller (37) dann überhaupt noch Bundestrainer der Höllen-Touristen auf ihren windigen Teetabletts ist. Ihn zieht’s zurück zu den Rodlern. Sozusagen in sicheres Gelände.

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