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Wieder im Demo-Dilemma

Klaus Wowereit ging am Samstag aus Furcht vor Kritik nicht gegen einen neuen Krieg am Golf auf die Straße. Die PDS-Senatoren waren diesmal tapfer dabei – und standen doch wieder als Feiglinge da

von ROBIN ALEXANDER

Klaus Wowereit hätte eine Grippe vorschützen können. Deutlich heiser erschien der Regierende Bürgermeister am Samstag auf der Verleihung des Echo-Schallplattenpreises und bei der Berlinale. Aber Wowereit führte nicht seine angeschlagene Gesundheit ins Feld, um zu erklären, warum er nicht an der großen Friedensdemonstration teilgenommen hat. „Der Regierende hat sich gegen eine Teilnahme entschieden“, sagte ein Sprecher ohne weitere Begründungen.

Der große Friedenskarneval fand dann ohne Wowereit statt. Eine verpasste Gelegenheit für den Regierenden, der sich so gern als Vertreter eines Berlin präsentiert, in dem Minderheiten selbstbewusst ihren Platz einnehmen. Dabei hat Wowereit sich politisch früh auf Friedenspfad begeben. Schon vor vierzehn Tagen schloss er einen „Appell europäischer Bürgermeister“ gegen einen neuen Krieg im Irak an.

Die Entscheidung, nicht zur Demo zu gehen, traf Wowereit erst im Laufe des Freitags. Seine Berater waren gespalten. Am Ende entschied Wowereit selbst und intuitiv: Er sagte ab, obwohl mit Heidemarie Wieczorek-Zeul sogar eine SPD-Bundesministerin auf die Straße ging. Auch zu einem Grußwort an die Demonstranten konnte sich Wowereit nicht durchringen. Stattdessen schickte die Senatskanzlei noch einmal den alten Appell der Bürgermeister neu heraus.

Wowereit Lavieren erklärt sich aus der kurzen Geschichte seiner Amtszeit: Er ist in Sachen Protest gegen amerikanische Politik ein gebranntes Kind. Im Mai des vergangenen Jahres besuchte der US-Präsident Berlin. Just zu dieser Zeit wollte Klaus Wowereit als Bundesratspräsident Australien besuchen. Die Empörung schlug hoch, Wowereit musste von seinem Besuch Abstand nehmen. Und verbot dafür seinen Senatoren die Teilnahme an allen Demonstrationen gegen George W. Bush. Ein Problem für die PDS-Senatoren, vor allem für Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner, die unvorsichtigerweise ihre Demoteilnahme schon in Aussicht gestellt hatte.

Am Samstag waren die PDSler außer Harald Wolf, der nach einem Urlaub noch nicht wieder in Berlin eingetroffen ist, alle dabei. Knake-Werner, in deren Ressort auch Gesundheit fällt, marschierte gemeinsam mit Ärzten. Kultursenator Thomas Flierl ging in den Reihen der Berliner Intendanten von Opern- und Theaterintendanten. Obwohl sich Knake-Werner und Flierl stundenlang tapfer die Füße abfroren, haben sie am Samstag doch eine politische Niederlage erlitten. Denn auf der gleichen Demo gingen Renate Künast (Bundesverbraucherministerin) und Jürgen Trittin (Bundesumweltminister).

Die beiden Grünen hatten sich – wie Wieczorek-Zeul (Entwicklungsministerin) – einfach über den expliziten Wunsch des Bundeskanzlers hinweggesetzt, Mitglieder seines Kabinetts möchten sich nicht beteiligen. Die Grünen wagten also gegen Schröder, was sich die PDS-Senatoren vor einem Jahr gegen Wowereit nicht trauten. Mit Grausen denken führende Genossen an den Landesparteitag am kommenden Wochenende: „Das wird uns garantiert um die Ohren gehauen.“

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