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der homosexuelle mann … von ELMAR KRAUSHAAR

… sitzt sicher und fest in seinem kleinen Identitätsgefängnis. Raus kommt er da nicht mehr, seit er zum ersten Mal voll banger Erregung einem Männerarsch hinterhergeschaut hat. Kaum ist das passiert, landet er im Coming-out, geht in die Coming-out-Beratung, zur Coming-out-Gruppe und auf die Coming-out-Party. Jedes Wochenende, bis er da rausgewachsen ist, im Fernsehen nur noch Ally McBeal einschaltet, Marianne Rosenberg für eine große Künstlerin hält und Thomas Hermanns für einen witzigen Komödianten, die Musik von Rosenstolz liebt wie Urlaub auf Gran Canaria, Klaus Wowereit als Vorbild nimmt in Fragen der Politik wie Udo Walz bei Problemen der Haarlänge und des Geschmacks.

Dieses Leben – man nennt es gern gay, urban und trendy – ist ein Jammertal, aber ein einziger Partyrausch im Vergleich zu dem, was folgt, wenn man die 37 überschritten hat. Dann wird‘s teuer, die Türsteher verlangen plötzlich Bares, die Jahresgebühr für die Muckibude frisst einen auf, und Sex gibt’s nur noch gegen Geld: am Telefon, im Internet, auf der Straße oder in der dritten Welt. Selbst der Ausweg auf die Fetischfährte wird zur Sackgasse, die Welt wird enger in all den Subunternehmen der einstigen pubertären Erregung: im Uniformclub, bei den Gummifreunden, auf der Bareback Party, zur Dirty Workers Night, in der Fist Fuck Factory, in der Hanky Code Zone – das ganze Programm. Jede Spezialisierung hilft noch über ein paar Jahre hinweg, bis die schwule Karriere endgültig versandet. Im hohen Alter ist keiner mehr schwul.

Die Fallstricke der Beschränktheiten in diesem schwulen Kosmos zeigen sich in der aktuellen Irakkriegsdebatte der US-amerikanischen Schwulenbewegung. Da haben sich die Lesben und Schwulen des nationalen Dachverbandes NGLFT in einer Erklärung mit vielen anderen oppositionellen Gruppen und Organisationen gegen die Irakpolitik der Bush-Administration ausgesprochen. Das aber passt einem der prominentesten schwulen Publizisten, Andrew Sullivan, nicht ins schwule Weltbild. Der erzkonservative Kolumnist und Leitartikler großer britischer und amerikanischer Blätter macht in der Tageszeitung The Advocate unmissverständlich klar, was Schwule politisch zu tun und zu lassen haben. Sich einmischen und engagieren, wenn es um die Belange von Homosexuellen geht, ja, aber ansonsten sollen sie das Maul halten, beispielsweise wenn Bush zum Krieg gegen den Irak aufruft. Wortgewaltig warnt er vor denen, die dennoch über den Tellerrand blicken. Linke schwule Idioten, auch noch antikapitalistisch und gegen die Herrschaft der Männer: „Die sprechen nur für eine kleine Minderheit unter uns.“ Könnte man sie doch nur unter den Teppich kehren, schließlich „untergraben sie die Ziele und das moralische Ansehen der schwulen Sache“.

Die schwule Welt ist eine kleine Welt, streng geordnet nach eigenen Regeln und Gesetzen. Die Franzosen setzten schon vor Jahren eine Parole dagegen: „Nennt mich nicht mehr Schwuler!“ Die ist hier nicht angekommen, und auch nicht bei Andrew Sullivan.

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