: Sinngebung in Zeiten der Streikpause
Studenten können etwas bewirken. Auch abseits der Streikwellen. Wenn sie die Mittel der Qualitätsprüfung, die für Unis angewandt werden, auf die Hochschulpolitik übertragen
Studentenproteste haben einen großen Vorteil und einen gewaltigen Nachteil. Der Vorteil ist: Alle Welt bekommt durch solche Proteste mit, dass die Uni kein Ort des Missmuts ist. Noch unter den widrigsten Bedingungen bietet die Hochschule einen Raum der Freiheit. Dort kann sich jede und jeder in Seminaren, Lern- und Forschungsprojekten jeden Tag selbst entscheiden, worauf das Ganze zielen soll: Vorbereitung auf ein Leben in selbstbestimmten Projekten oder Wissenserwerb, um anschließend die Welt zu verändern, oder Selbstzurichtung für den gnadenlosen Wettbewerb in den Vorstandsetagen des globalisierten Kapitalismus. Das ist auch den Studentenprotesten anzumerken. Sie sind meist witzig, häufig ironisch, manchmal klug. Für den Erhalt von Bundeswehrstandorten zum Beispiel wird ganz anders protestiert, verbissener nämlich.
Der Nachteil von Studentenprotesten: Sie können in einem vordergründigen Sinne nicht erfolgreich sein. Denn das Sanktionspotenzial gegenüber Staat und Gesellschaft ist gering, ganz anders als etwa bei Krankenhäusern oder der Müllabfuhr. Wenn Hochschulen ihre Leistung verweigern, könnte das den gesellschaftlichen Zusammenhalt erst dann stören, wenn sie es jahrelang durchhielten. Das freilich wäre etwas viel verlangt, denn so spaßig kann kein Boykott sein.
Was aber tun, wenn der Protest abflaut, doch nicht die Unzufriedenheit? Jede Protestbewegung lebt von vier Faktoren: Ein aktivistischer Kern der Protestierenden treibt die Sache voran. Eine zeitweise mobilisierungsfähige Großgruppe macht mit. Dadurch erst wird der Vorgang zum Massenprotest. Dann braucht es noch eine Gruppe, die zwar selbst nicht mitprotestiert, aber sich auch nicht aufregt, wenn die Seminare ausfallen. Das vierte Element einer funktionierenden Protestbewegung schließlich ist der Umstand, dass die Gegner in den eigenen Reihen marginalisiert sind.
Wenn nun aber der Protest abgeflaut ist, muss er in etwas transformiert werden, das dem aktivistischen Kern eine Chance lässt. Denn der wird einstweilen übrig bleiben. Er muss dann etwas tun, das die zeitweilige Abwesenheit der Massen verschleiert. Für solche Fälle, in denen man selbst nicht mehr bestimmen kann, welche Musik gerade gespielt wird, gibt es ein probates Mittel: den Verhältnissen ihre eigene Melodie vorspielen, um sie zum Tanzen zu bringen.
Welche Musik aber wird gerade intoniert in den hochschulpolitischen Verhältnissen? Es ist der Sound der Akkreditierung und des Qualitätsmanagements. Wer akkreditiert wird, erlangt die Berechtigung, bestimmte Studienabschlüsse zu vergeben. Dazu müssen Mindeststandards erfüllt sein: Der Studienablauf muss zum Studienziel passen, die Lehrkräfte müssen bestimmte Qualifikationen aufweisen, in der Bibliothek müssen Bücher stehen usw. Das sichert dann die Qualität, wird gesagt.
Wer bei einer Studiengangsakkreditierung durchfällt, hat jedoch nicht nur die zehn- bis zwanzigtausend Euro in den Sand gesetzt, die der Vorgang kostet, sondern auch eine Chance gewonnen: die des Qualitätsmanagements. Denn was ursprünglich die Produktion von Autos oder Kassettenrecordern optimieren sollte, führt seit geraumer Zeit die Hitparade der Hochschulreform an. Immer beliebter wird es, die eigene Hochschule mit anderen zu vergleichen, Fehler zu suchen und zu beheben sowie Abläufe zu optimieren. Tatsächlich kann es den Hochschulen helfen, systematisch Schwachstellen zu analysieren.
Also: Warum nicht die Hochschulpolitik akkreditieren? Sechzehn Bewerber, alle Bundesländer, stehen Schlange, dazu die Bundesregierung und die EU. Sämtlichst behaupten sie, Innovationsführer zu sein bei der Gestaltung der Wissensgesellschaft. Sämtlichst lechzen sie nach öffentlicher Anerkennung, dass diese Behauptung der Realität entspricht. Zwar seien die Mittel knapp, aber durch intelligentes Qualitätsmanagement sei es überhaupt kein Problem, mit weniger mehr zu erreichen.
Dann nur zu. Wird aber die Hochschulpolitik ihren eigenen Ansprüchen gerecht? Korrespondieren die hochschulpolitischen Ziele mit gesellschaftlichen Notwendigkeiten? Mit den Techniken, die das Qualitätsmanagement bereithält, ist es kein Problem, all das festzustellen und es öffentlich plausibel zu machen. Im Kern geht es immer um das Gleiche: Es müssen intelligente Kriterien bestimmt werden, denen eine zukunftstaugliche Hochschulpolitik zu genügen hätte. Anhand der Kriterien sind die hochschulpolitischen Vorhaben, Programme, Gesetzentwürfe und Aktivitäten zu prüfen. Am Ende steht eine Bewertung mit Empfehlungen, wie es beim nächsten Mal gelingen kann, besser abzuschneiden.
Damit lassen sich aufschlussreiche Fragen klären: Nehmen denn die einzelnen Hochschul-politiken auch selber ernst, was sie den Hochschulen nahe legen? Wer statt eines kämpferischen Manifests eine Stärken-Schwächen-Analyse der Hochschulpolitiken anfertigt, kann das, was zu sagen ist, darstellen, ohne den Vorwurf auf sich zu ziehen, man wisse ja nicht einmal, welche Musik heute spiele. Am Ende dann können die Akkreditierungsentscheidungen stehen: Welche Hochschulpolitik erfüllt die Kriterien, welche erfüllt sie nicht, und welche wird mit Auflagen zur Nachbesserung an die jeweilige Regierung zurückgegeben? Aus den Einzelplatzierungen wird schließlich ein Ranking gebastelt, nur anders als sonst nicht eines der Hochschulen, sondern der Hochschulpolitik. Die Zeit bis zum nächsten Protest jedenfalls wird sich damit sinnvoll überbrücken lassen.
PEER PASTERNACK
Der Autor forscht am Institut für Hochschulforschung der Uni Halle-Wittenberg
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