: Wie ein Echo aus alter Zeit
Am Sonnabend will die PDS mit Genossen aus Frankreich und Italien ein europäisches Parteienbündnis vereinbaren – im symbolträchtigen Abgeordnetenhaus. Dort gründeten Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg einst die Kommunistische Partei
von PHILIPP GESSLER
Solches haben diese Hallen schon gehört: „Die Profitdominanz zurückdrängen und die Herrschaft des Kapitalismus überwinden“ – wie ein Echo aus alter Zeit wird es klingen, wenn am Wochenende mit Sätzen solch rötlicher Färbung linke Parteien Europas, darunter die PDS, im Abgeordnetenhaus eine gemeinsame europäische Partei gründen. „Die Zeit ist reif für eine Partei der Europäischen Linken“, heißt es in einem Entwurf für einen Aufruf, den die sozialistisch-kommunistischen Parteien verabschieden wollen. Sie tun dies an historischer Stätte. Hier wurde in den Tagen des Jahreswechsels 1918/19 die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) gegründet. Zwei der Gründungsmitglieder: Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht.
Die PDS beruft sich gern auf diese beiden Ikonen der Sozialisten und Kommunisten. Auch wegen dieser beiden und der Traditionslinie KPD–SED–PDS hielten es die „demokratischen Sozialisten“ der Bundesrepublik offenbar für angemessen, diese kommunistisch-sozialistische Partei Europas gerade im Abgeordnetenhaus der alten und neuen Hauptstadt Deutschlands zu gründen. Dabei ist dieser Ort von zweifelhafter Symbolik. Für „Rosa und Karl“ war er eher ein Ort der Niederlage denn des Sieges.
Es fing damit an, dass in dem Kubus gegenüber dem Martin-Gropius-Bau, erbaut 1893–98 im Stil der römischen Hochrenaissance, vom 16. bis 21. Dezember 1918 der „Erste Allgemeine Kongress der Arbeiter- und Soldatenräte Deutschlands“ tagte. Nach der Niederlage im Weltkrieg, der Abdankung des Kaisers und der Ausrufung der Republik am 9. November hatte die Revolution scheinbar selbst in Deutschland gesiegt. Doch wie weiter? Das war die Frage, die der Kongress in diesem Gebäude des ehemaligen Preußischen Abgeordnetenhauses, des „Unterhauses“, klären sollte. Aus ganz Deutschland wurden je 200.000 Einwohner beziehungsweise je 100.000 Soldaten ein Delegierter (vor allem Männer) zur Tagung im imposanten Parlamentsgebäude mit der Sandsteinfassade entsandt. Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht aber erhielten kein Mandat.
Das ist umso erstaunlicher, da beide eine wichtige Rolle in der Revolution gespielt hatten – Liebknecht hatte am 9. November 1918 kurz nach Philipp Scheidemann die sozialistische deutsche Republik ausgerufen. Luxemburg war seit Jahren die wichtigste Frau an der Spitze der deutschen Arbeiterbewegung, eine bedeutende Theoretikerin und charismatische Persönlichkeit, die mit ihrer Redekraft Massen zu bewegen wusste.
Doch die klare Mehrheit der 514 Delegierten im heutigen Abgeordnetenhaus war gegen den radikalen Revolutionskurs Liebknechts und Luxemburgs. Etwa 300 Delegierte gehörten zu den Mehrheitssozialdemokraten (MSPD), die, anders als der frühere Reichstagsabgeordnete, Pazifist und Sozialdemokrat Liebknecht, zwischen 1914 und 1918 Kriegskredite genehmigt, das Völkerschlachten verlängert hatten. Eng hatte die MSPD mit bürgerlichen Parteien zusammengearbeitet, darunter das katholische Zentrum. In einen so dominierten Kongress passten Liebknecht und Luxemburg kaum. Aber es fanden sich offenbar auch nicht genug Bürgerinnen und Bürger, die sie bei dieser entscheidenden Tagung als Delegierte sehen wollten.
Demütigender noch: „Rosa und Karl“ wurden noch nicht einmal als Gäste mit beratender Stimme zum Kongress geladen – ein entsprechender Antrag von Delegierten der USPD, links der MSPD angesiedelt, wurde mit großer Mehrheit in zweimaliger Abstimmung abgelehnt. Liebknecht und Luxemburg fehlten also gerade dort, wo sich der Fortgang der Revolution entschied. Demokratisierung von Heer, Verwaltung und Wirtschaft, ja sofortiger Beginn der Sozialisierung, all diese Beschlüsse des Kongresses fielen ohne die beiden ehemals führenden Genossen.
Vor allem aber lehnte die Mehrheit den USPD-Antrag ab, eine sozialistische Republik mit einem Rätesystem in Deutschland zu etablieren, was Liebknecht und Luxemburg stets gefordert hatten. Vielmehr wurden im Abgeordnetenhaus reichsweite Wahlen zur Nationalversammlung am 19. Januar 1919 festgesetzt. Eine herbe Niederlage für Liebknecht und Luxemburg.
Doch noch einmal schienen beide das Heft des Handelns an sich reißen zu können: Nach Kämpfen in den Weihnachtstagen rund um das Stadtschloss gründete, wieder im Abgeordnetenhaus, am 1. Januar 1919 der links der USPD einzuordnende „Spartakusbund“ zusammen mit Hamburger und Bremer Genossen die KPD. Führend im heutigen Festsaal dabei: Liebknecht und Luxemburg, die das Parteiprogramm entworfen hatte.
Aber auch dieses Mal scheiterten die beiden: Liebknecht und Luxemburg votierten für eine Teilnahme ihrer KPD an den Wahlen knapp drei Wochen später. Die klare Mehrheit der Gründungsmitglieder der KPD entschloss sich dagegen mit 62 gegen 23 Stimmen gegen eine Wahlbeteiligung der neuen Partei. Stattdessen wollte man gegen die Wahlen am 19. Januar 1919 und gegen das parlamentarische System kämpfen. Als wenige Tage später der so genannte Spartakusaufstand ausbrach, an dessen Spitze die KPD stand, war Luxemburg gegen diesen Kampf. Sie hielt eine Niederlage für unvermeidlich und unterstützte die Aufständischen nur noch aus Parteiräson. Gleichwohl wurden „Rosa und Karl“ kurz nach dem Scheitern des Aufstands am 15. Januar von einer rechtsextremistisch-monarchistischen Soldateska ermordert.
So es einen Genius loci im Abgeordnetenhaus gibt, spricht er also, trotz der dortigen Gründung der KPD, kaum für politischen Erfolg und Demokratie. In der Weimarer Republik regierte zwar in diesem Gebäude die „Weimarer Koalition“ von Sozialdemokraten, Zentrum und der liberalen DDP das Land Preußen – ein Teil des „demokratischen Bollwerks“, wie es hieß. Doch spätestens seit April 1933 war an diesem Ort die Demokratie ganz fern: Zuerst residierte hier die NS-Größe Hermann Göring als letzter preußischer Ministerpräsident, dann tagte im Prachtbau der verbrecherische Volksgerichtshof, bis Göring das Gebäude 1934/35 zum „Haus der Flieger“ umbauen ließ.
Das heutige Abgeordnetenhaus wurde im Krieg schwer getroffen. Doch war es offenbar noch so attraktiv und symbolstark, dass auch das SED-Regime der DDR es sich nicht verkneifen konnte, den Bau zu nutzen. Nachdem die Deutsche Wirtschaftskommission das Gebäude von 1946 bis 1949 genutzt hatte, machte der Ministerrat der DDR unter Otto Grotewohl hier Politik. Nach dem Mauerbau 1961 lag die Liegenschaft Niederkirchnerstraße 5 direkt vor dem „antifaschistischen Schutzwall“, und nur die staatliche Planungskommission der DDR hielt offenbar den Blick aus den Fenstern aus. Die KPD-Gründung an diesem Ort hatte man dabei nie vergessen. Zwischen 1978 und 1983 gab es Planungen, das Haus zu einer Gedenkstätte für die KPD-Gründung umzubauen. Diese Pläne aber wurden nie realisiert.
Luxemburg und Liebknecht scheiterten hier zweimal, die KPD ist lange vergangen, selbst zu einer Gedenkstätte für sie hat es in diesen Hallen nicht gereicht – unter welchem Stern mag eine europaweite Kommunisten-Partei stehen, wenn sie sich im Abgeordnetenhaus gründet?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen