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Endlich mal was los im grauen Tower

Zum vierten Mal hat die Neuköllner SPD ein Treppenrennen im Idealhaus, in Deutschlands höchstem Wohnhaus, veranstaltet, um positive Schlagzeilen für die Gropiusstadt zu produzieren. Zumindest die älteren Kiezbewohner freuen sich darüber

VON ANDREAS RÜTTENAUER

Er sieht einfach nicht gut aus, der Blickfang der berüchtigten Gropiusstadt. Vielleicht wirkt das „Idealhochhaus“ im Sommer, wenn der Himmel blau ist, nicht gar so düster wie an einem grauen Sonntag im Januar. Der Name des Bauwerks mag so gar nicht passen zu dem Bild, das der fleckige Sichtbeton- und Eternitkoloss abgibt. Schöner wohnen stellt man sich für gewöhnlich anders vor, ideal wohnen erst recht. Doch die Wohnqualität hat bei der Namensgebung keine Rolle gespielt. Die Wohnungsbaugenossenschaft Ideal, die das Haus verwaltet, ist Namenspatron des unseligen Gebäudes, das mit seinen 30 Stockwerken das höchste Wohnhaus Deutschlands ist. Der ideale Schauplatz für ein Treppenhausrennen.

Das spürte von drei Jahren die Neuköllner SPD und veranstaltete den ersten „Towerrun“ in der Gropiusstadt. Wettbewerbe im Treppenhaus-Hinaufrennen gibt es sonst vor allem in Bürogebäuden. Wohngebäude werden eher selten zur Sportstätte. Die überdimensionalen Schlafburgen stehen meistens in Gegenden, die man nicht so gerne vorzeigt. So eine Gegend ist die Gropiusstadt sicherlich auch. Genau deshalb ist die Bezirks-SPD auf die Idee gekommen, hier mal etwas zu unternehmen, „was dem Bezirk auch positive Schlagzeilen einbringt“, wie Jugendstadtrat Thomas Blesing meint.

Doch angesichts der düsteren Ausstrahlung des Austragungsortes fällt es schwer, an Positives zu denken. Sicherlich, die Sportler haben ihr Bestes gegeben. Bei den Frauen siegte Sylvia Jacobs in einer neuen Rekordzeit von 4:33 Minuten, und bei den Herren verfehlte der Sieger Ronald Pierenz mit seinen 3:34 Minuten seine eigene Bestzeit nur knapp. Faszinierend auch, dass die Sieger nicht etwas durch das Treppenhaus gespurtet sind, sondern es vielmehr wie Bergsteiger erklommen haben. „Ich bin eher hochgewandert“, sagte Jacobs nach der Siegerehrung. 465 Stufen rast man nicht einfach so hinauf. Und wer die Gesichter der Sportler am Ziel sieht, kann sich vorstellen, wie anstrengend ein „Towerrun“ sein kann.

Am Ende gab es freundlichen Applaus von den Zuschauern aus dem Kiez, die sich rund um die SPD-Sonnenschirme gruppiert hatten. Auch unter den Zuschauern dominierte die Farbe Grau. Vor allem ältere Bewohner der Gropiusstadt hatten sich eingefunden. Sind das die Problembewohner, von denen immer wieder einmal die Rede ist? „Sicher gibt es welche, die sich nicht an der Hausgemeinschaft beteiligen, welche, die schnell wieder weg sind, aber sonst gefällt es mir hier“, sagt ein älterer Herr, der seit 1969 im Idealhochhaus wohnt, und der seinen Namen nicht sagen will, „weil ich grundsätzlich etwas gegen Zeitungen habe“. Vielleicht meint er mit seiner Bemerkung die asiatisch aussehende Frau, die mit zwei Kindern ein wenig verschämt vom Balkon auf die versammelten Herrschaften im fortgeschrittenen Alter herabblickt. Zum Towerrun fällt ihm nicht viel ein. Er ist wie viele andere Bewohner der ersten Stunde einfach froh, dass einmal etwas los ist. Die grauhaarige Clique macht sich einen schönen Nachmittag, während von den eigentlichen Problemfällen des Viertels – vernachlässigten Jugendlichen, verarmten Migranten oder langzeitarbeitslosen Alkoholikern – weit und breit nichts zu sehen ist.

Vielleicht aber gibt es die gar nicht mehr in der Gropiusstadt. Jutta Weißbecker, die für die SPD im Abgeordnetenhaus sitzt, sagt, dass sich schon vieles zum Positiven verändert habe. Dadurch, dass neue Mieter hier keinen Wohnberechtigungsschein mehr vorweisen müssen, und durch die Abschaffung der Fehlbelegungsabgabe habe man ein besseres Wohnumfeld schaffen können. Die Wohnungsbaugesellschaft Degewo, der jede Menge Wohnraum in der Gropiusstadt gehört, habe einen Großteil ihrer Häuser neu anstreichen lassen. Weißbecker: „Neue Farbe bringt ja manchmal schon etwas.“

Der Mann, der eigentlich grundsätzlich gegen Zeitungen ist, erzählt von einer leer stehenden Wohnung im Idealhochhaus: „Wunderschön, wie meine.“ Wer will, kann sich die Wohnung ansehen. Das Interesse hält sich in Grenzen. So richtig populär ist die Gropiusstadt doch noch nicht. Trotz „Towerrun“.

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