: Geständnis mit Folgen
Wenn Dopingsünder gestehen, werden sie für ihren Mut bewundert. Doch dann müssen sie mit den Konsequenzen ihrer Offenheit leben. Wie Skeleton-Pilot Thomas Platzer und Exradler Jörg Paffrath
von MARKUS VÖLKER
Lang ist die Liste abenteuerlicher Ausreden. Radprofi Gianni Bugno führte seinen positiven Koffein-Befund auf den Genuss von zwölf Espressi zurück, die er im Eiltempo gekippt haben wollte. Schwimmerin Astrid Strauß machte glauben, ein paar Gläser Erdbeerbowle zu viel wären für den Positivtest verantwortlich. Sprinter Dennis Mitchell behauptete, durch Sex sei der Hormonhaushalt durcheinander geraten. Hürdensprinterin Ludmila Engquist verkündete, ihr böswilliger Ehemann habe ein Mittelchen in die Suppe gemischt. Weitspringerin Susen Tiedtke teilte einer verblüfften Öffentlichkeit mit, anabolikahaltige Hähnchenschenkel seien schuld am unerlaubten Wert. Radprofi Christian Henn sagte, dass sein Testosteron-Spiegel nur deshalb hochgeschnellt sei, weil er ein Aphrodisiakum zur Potenzsteigerung eingenommen habe.
Thomas Platzer hat es anders gemacht. Er wollte nicht wie die Mehrheit reagieren. Platzer entschied sich, alles zu gestehen. „Es kam nichts anderes für mich in Frage“, sagt der 33-jährige Skeleton-Pilot aus dem bayrischen Isen, der zuvor als Anschieber des Bobs von Christoph Langen Europameister und WM-Zweiter wurde. „Wenn ich Scheiße baue, dann steh ich auch dazu.“ Platzer wurde mit Stanozolol erwischt, jener muskelbildenden Substanz, die Ben Johnson 1988 zum Verhängnis wurde.
Der moralische Rigorismus der Geständigen ist verpönt. Er bricht die stille Übereinkunft, dass Dopingsünder selbst nach ihrer Entdeckung nicht zur anderen Seite überlaufen, sondern ihre Mitgliedschaft im Kartell des Schweigens fortsetzen. Kündigen sie die Mitgliedschaft auf, müssen die Abtrünnigen mit geharnischten Reaktionen rechnen. „Verdammung der Verdammenden“ nennen Soziologen dieses Verhalten. Es besteht darin, den Renegaten anzugreifen, lächerlich und zum Popanz der Doping-Aufklärer zu machen. Als naiver Moralist, Nestbeschmutzer und lästige Querulanten müssen sich die Überläufer beschimpfen lassen.
Auch Platzer ist, nachdem er sich zuerst – unter anderem im Aktuellen Sportstudio des ZDF – als reuiger Held präsentiert hatte, ins Grübeln gekommen. „Das dicke Ende kommt wahrscheinlich noch“, vermutet er. Die Bundeswehr hat dem Hauptfeldwebel an seinem Stützpunkt in Bad Reichenhall bereits seine Leistungssport-Privilegien aberkannt. Nun muss er normalen Dienst schieben. Vorbei die Zeiten, als er zweimal pro Tag trainieren konnte. Ob er derzeit überhaupt mit der Presse sprechen darf, weiß er gar nicht. Die Bundeswehr hat ein Verfahren eingeleitet. Platzer wird ein Dienstvergehen vorgeworfen. „Ich will weitermachen“, sagt er, „obwohl ich nicht weiß, welche Stöcke mir noch zwischen die Beine gelegt werden.“ Er könne es verstehen, dass die Mehrzahl der überführten Athleten nicht den Mut zum öffentlichen Bekenntnis aufbringe, da die Angst vor den Konsequenzen zu groß sei: „Was auf einen zukommt, ist wirklich unglaublich.“ Zumindest schneiden ihn die Kollegen nicht, und auch der Verband hat nicht alle Türen zugeschlagen.
Das lief bei Jörg Paffrath völlig anders. Noch heute ist der Nachhall des Türenschlagens zu vernehmen, obwohl der Fall Paffrath über fünf Jahre zurückliegt. Der Radprofi vom Team Olympia Dortmund outete sich nach einem positiven Befund im Spiegel, berichtete in allen Details über die pharmaverseuchte Radsportszene. Er führte 24 Medikamente an, die er genommen hatte. Nach Paffraths Schilderung wurde das Bild von der radelnden Apotheke plastisch.
Der Bund Deutscher Radfahrer (BDR) sperrte Paffrath, 1992 Erster der Bayern-Rundfahrt, lebenslang. Strafverschärfend sei zu berücksichtigen, schrieb der BDR damals, dass der Sportler durch sein Verhalten nicht nur dem Ansehen des Verbands schweren Schaden zugefügt habe, sondern beim Nachwuchs den Eindruck erweckt habe, es ginge nur mit Medikamenten.
„Terrorisierende Anrufe, Ausladungen, Auflauern und Rückzieher vom Freundeskreis“, so beschreibt Paffraths Frau Anja die Reaktionen danach. Paffrath will sich diesem Druck nicht mehr aussetzen. Deshalb schweigt er. „Das gibt nur Stress, wir wollen unsere Ruhe“, sagt Anja Paffrath stellvertretend.
Dennoch haben sie einen neuen Versuch unternommen, den BDR zu überzeugen, die lebenslange Sperre zurückzunehmen. Im vergangenen Jahr schickten die Paffraths ein Schreiben an BDR-Präsidentin Sylvia Schenk. Sie meldete sich daraufhin in Köln und verlangte eine Relativierung von Paffraths Aussagen im Spiegel, sozusagen eine Abbitte. Paffrath dachte gar nicht daran.
Danach herrschte Funkstille. In diesen Tagen wird ein neues Schreiben bei Schenk auf dem Schreibtisch landen. Jörg Paffrath versucht es wieder. „Es geht ihm um Genugtuung“, erklärt seine Frau. An hochklassige Rennen denkt der Gebäudereiniger nicht mehr. Thomas Platzer dagegen schon. Er will zurückkommen, obwohl er sein großes Ziel, die WM 2004 in Königssee, durch die Sperre verpasst.
Paffrath würde es wieder tun. Auch Platzer bereut seine Offenheit nicht. „Es musste sein“, sagt er. Demnächst will er Vorträge für die Antidoping-Agentur Nada halten. Er sei dafür prädestiniert. Thomas Platzer sagt: „Ich weiß, wovon ich rede.“
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