piwik no script img

Grüne erfinden Solizuschlag neu

Die Grünen wollen von allen EinwohnerInnen der Stadt eine – sozial gestaffelte – Berlin-Steuer erheben. Die soll sozialen Zwecken zugute kommen. Mit der Idee stehen sie ziemlich allein da

VON RICHARD ROTHER

Dem Zeitgeist entspricht sie nicht, aber sie könnte Berlin helfen – die Berlin-Steuer. Das jedenfalls sagt der Grünen-Haushaltsexperte Jochen Esser. Und erntet zumeist Unverständnis. In Zeiten, in denen ein – hauptsächlich den Wohlhabenden nützender – Steuersenkungsvorschlag den anderen jagt, sind neue Steuern schwer zu vermitteln. Selbst wenn sie noch so durchdacht wären und in die Steuersystematik passten.

Also steht der Grünen-Politiker Esser ziemlich allein da. Seine Idee: Zusätzlich zur Einkommensteuer müssten die Bürger der Stadt einen Berlin-Zuschlag zahlen. Die Steuer, die auf Landesebene erhoben werden soll, wäre nach Essers Vorstellungen sozial gestaffelt. Wer wenig verdient, zahlt wenig oder gar nichts. Wer viel verdient, wird deutlich stärker zur Kasse gebeten (siehe Interview).

Mit den so gewonnenen Einnahmen will Esser soziale Aufgaben finanzieren, bei denen der rot-rote Senat immer weiter kürzt. Im Haushaltsgesetzgebungsverfahren sollte nach Ansicht Essers festgeschrieben werden, dass die Mehreinnahmen von rund 100 Millionen Euro jährlich auch tatsächlich für die Sozial- und Bildungspolitik verwendet werden. Essers Ziel: die besser verdienenden Berliner zur Haushaltskonsolidierung mit heranziehen. „Ich selbst spüre als Abgeordneter kaum etwas davon.“

Der Vorschlag stößt erwartungsgemäß auf wenig Gegenliebe, und zwar sowohl aus grundsätzlichen als auch aus pragmatischen Erwägungen. „Wir brauchen nicht mehr, sondern weniger Steuern“, sagt Stefan Siebner, Sprecher der Industrie- und Handelskammer (IHK). Die Einnahmen Berlins ließen sich nur durch mehr Wirtschaftswachstum und den Zuzug von Menschen steigern, die selber für sich sorgen könnten. „Der Grünen-Vorschlag passt nicht in die Landschaft.“

Die Senatsfinanzverwaltung reagierte ebenfalls skeptisch. „Wir versprechen uns davon nichts“, so Behördensprecher Matthias Kolbeck. Der Vorschlag wirke nicht voll durchdacht und sei für Berlins Image wenig förderlich. „Der Berliner Haushalt lässt sich nicht einnahmeseitig sanieren.“ Mehreinnahmen würden durch den Mechanismus des Länderfinanzausgleich geschmälert. „An der Ausgabensenkung führt auch in Zukunft kein Weg vorbei.“

Auch vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), der sonst für Steuererhöhungen durchaus aufgeschlossen ist, kommt Kritik. Die Sondersteuer der Grünen-Fraktion sei zu kompliziert und ein Sandkastenspiel, so DGB-Sprecher Dieter Pienkny. „Das riecht nach Notopfer. Sinnvoller wäre es, das Thema Erbschaft- und Vermögensteuer auf die politische Agenda zu setzen und dafür Druck zu machen.“ Berlin könnte damit bis zu 2 Milliarden Euro jährlich einnehmen.

Die FDP – bei Vorschlägen zum Geldausgeben nicht zimperlich, wenn damit Immobilienkredite für Bauherren im sozialen Wohnungsbau finanziert werden – möchte gleich eine aktuelle Stunde im Abgeordnetenhaus zur „Abzockorgie“ des Senats und zu den Grünen-Vorschlägen durchführen. Die Haushaltssanierungsteuer löse ältere grüne Steuerfantasien ab wie eine Motorbootsteuer oder eine Kurtaxe, so Fraktionschef Martin Lindner: „Alles selbstverständlich so sozialverträglich, dass auch der letzte Investor davon abgehalten wird, in die deutsche Hauptstadt zu ziehen und hier zu investieren.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen