theorie und technik: Ansteckende afrikanische Abenteuer
Die dunklen Flecken der deutschen Kolonialhistorie werden erfolgreich beschwiegen
Als Tourist in Namibia bekam ich vor Jahren eine Lehrstunde in postkolonialen Affären erteilt. Kaum angekommen, gab meine Kamera ihren Geist auf. Ein deutschstämmiger Optiker in Swakopmund zögerte keine Sekunde, das kaputte Objektiv gegen ein neues in Zahlung zu nehmen, schließlich war ich schon qua Herkunft ein würdiger Kunde. Als das landeskundliche Wortgeplänkel bald zu den „Kaffern“ schwenkte, verließ ich fluchtartig den Laden.
Ob die Namibier über die neue Berliner Rassismusdebatte, ausgelöst durch das Koltès-Stück „Kampf des Negers und der Hunde“ an der Volksbühne, etwas wissen? Wohl kaum. Es dürfte sie aber interessieren, dass die Langlebigkeit kolonialer Verwundungen dabei von verantwortlicher Seite nicht so elegant beiseite gewischt werden kann wie im Falle der Entschädigungsforderungen von den Opfern des Hererokrieges. Während die dunklen Flecken der deutschen Kolonialhistorie erfolgreich beschwiegen werden, drängen die Kronzeugen dieser hundertzwanzigjährigen Begegnungsgeschichte, afro-deutsche Initiativen wie ISD oder Adefra, auf eine Störung der verordneten Ruhe.
Entzündet hat sich der Theaterstreit nicht nur am N-Wort, sondern vor allem am altbekannten Repertoire rassistischer Stereotype (Baströckchen, Kraushaarperücke, Affenkostüm), das in der Gottscheff-Inszenierung einen irgendwie selbstironischen oder provokativen Standpunkt markieren will, aber im Parkett als ewig gestriger Kolonialhumor und unangenehme Witzischkeit ankommt. Auf wessen Kosten, so die Betroffenen, werde hier eine Minstrelshow für die linke Szene geboten?
In Namibia freilich verwiese eine solche Debatte auf einen fast utopischen Zustand. Denn von rassistischen Zuschreibungen und Sprachhygiene im Kunstbetrieb muss niemand reden, der Segregation täglich am eigenen Leib erfährt. Dazu tragen auch die beiden Erinnerungskulturen bei, die sich um das Reiterdenkmal in Windhoek bzw. am Heroes Acre als konkurrierenden Gedächtnisorten versammeln. Während nur wenige Historiker den deutschen Genozid von 1904 als solchen zu benennen wagen, fragt Jan-Bart Gewald im Tagungsband „Die (koloniale) Begegnung“ nach den psychopathologischen Gründen, wie es eigentlich zu einem solchen Gewaltexzess kommen konnte. Seine Vermutung lautet, dass die „Ströme von Blut“, die General Lothar von Trotha für die Aufständischen vorsah, sich zutiefst mit dem rassischen Suprematiedenken deckten, in dem auch Wilhelm II. geschult worden war. Die fixe Idee, ein „perfektes“ Kolonialreich zu bilden, duldete keinerlei Einspruch gegen die kaiserliche Politik der Unterwerfung. Hinzu kam, dass man durch die Mischehen zwischen Siedlern und ethnischen Gruppen eine „Infektion“ des gesunden Volkskörpers befürchtete und deshalb eine komplette „Aussaat“ (von Trotha) der Herero und Nama anstrebte.
Auch in Koltès’ Stück fällt der Satz „Die Bakterien des Negers sind die schlimmsten“. Gleichzeitig wird die einzige körperliche Nähe zwischen Kolonisierer und Kolonisiertem über ein gegenseitiges Bespucken hergestellt. „Lassen Sie sich berühren!“, wirbt die im Exotismus schwelgende Landlady, nachdem sie sich mit Schuhcreme ausreichend rassifiziert hat. Diese Topik des Viralen, so zeigt Ruth Mayer in ihrer fulminanten Studie „Artificial Africas“, zieht sich heute ebenso durch den biopolitischen Krisendiskurs über Afrika (Ebola, Aids) und macht die „heißen“ Rhythmen der Ethnomusik zu infectious grooves im Marketing der globalen Popkultur.
„Der kulturelle Kontakt ist immer unsauber“, schreibt Mayer, weil in ihm kein 1:1-Abgleich von „reinen“ Identitäten und vorurteilsfreien Erwartungen erfolge. Die Kolonialfantasien der Schutztruppler, über die wir durch die Namibia-Romane von Uwe Timm und Gerhard Seyfried ungleich mehr wissen als über die Perspektive der Gegenseite, waren so gesehen immer schon durch Sammelbildchen-Images beeinflusst, die afrikanische Abenteuer unter höchster Ansteckungsgefahr versprachen. Schon dieser mentale Bilderhaushalt, der erst nach dem Hererokrieg sein eigentliches Konjunkturhoch erreichte, kannte nur ein voluntaristisches Verfahren der Inszenierung: out of the blue, into the black.
JAN ENGELMANN
Marianne Bechhaus-Gerst/Reinhard Klein-Arendt (Hg.): „Die (koloniale) Begegnung. Afrikanerinnen in Deutschland 1880–1945, Deutsche in Afrika 1880–1918“. Peter Lang Verlag, Frankfurt am Main 2003, 322 S., 49,90 €ĽRuth Mayer: „Artificial Africas. Colonial Images in the Times of Globalization“. University Press of New England, Lebanon NH 2002, 370 S., 24,95 $
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