: Schrumpfen ist nicht idyllisch
Der Bremer Soziologe Günter Warsewa steht dem Memorandum von Martin Rode und Robert Bücking skeptisch gegenüber. Ihr Hinweis, Projekte seien „unbremisch“, reiche bei weitem nicht
von Günter Warsewa
Die mit dem Memorandum vorgelegten Überlegungen zur Neujustierung der bremischen Politik nach der kommenden Bürgerschaftswahl fordern „Mut zu Ehrlichkeit und Veränderung“.
Erahnen läßt sich, dass die geforderte Rückkehr zu einer „bremischen Maßstäblichkeit“ längerfristig nennenswerte Spareffekte mit sich bringen soll – und vielleicht auch könnte. Das allein bedeutete freilich, sich allzu sehr in einer Schrumpfidylle einzurichten, die vermutlich nicht nachhaltig idyllisch bliebe. Die Geschichte Bremens verweist darauf, dass besonders schwierige Zeiten gerade dadurch überwunden wurden, dass die ansonsten so geliebte Maßstäblichkeit zeitweilig durchbrochen wurde.
Der Hinweis, Projekte und Massnahmen seien „unbremisch“, zu teuer oder zu groß, reicht daher nicht – manche Vorhaben müssen sogar groß und langfristig angelegt sein, damit sie erfolgreich sein können.
Das gilt möglicherweise auch und gerade für den Ausbau von Hafenkapazitäten, die einerseits den Anforderungen globaler Handelsströme und Logistikketten gerecht werden und andererseits den unvermeidlichen Bedeutungsverlust der stadtbremischen Häfen ausgleichen sollen.
Es gibt also keinen Ausweg: Über Sinn und Unsinn kann nur nach Prüfung in der Sache entschieden werden und der „Maßstab“ darf nicht nur die Haushaltslage sein.
In erster Linie müssen politische Vorhaben doch danach beurteilt werden, ob und in welchem Umfang sie tatsächlich zu einer umfassenden Modernisierung von Lebensbedingungen und städtischen Strukturen beitragen. Und hier bleibt das Memorandum viel zu vorsichtig, kompromisshaft und widersprüchlich.
An drei Beispielen soll das verdeutlicht werden: 1. Unter allen politischen Richtungen ist unumstritten, dass der Technologiepark Universität eine Erfolgsgeschichte darstellt, die so schnell und so lange wie irgend möglich weitergeschrieben werden muss – zumal Wissenschaft und wissensgestützte Dienstleistungen zu einer zentralen Säule der neuen Wirtschaftsstruktur Bremens werden sollen.
Wenn aber diese Erfolgsgeschichte tatsächlich weitergeht, wird der vorhandene Raum dafür irgendwann zu eng. Man kann sich darüber streiten ob das in 10 oder 20 Jahren der Fall sein wird – aber man muss doch alles dafür tun, dass es überhaupt irgendwann dazu kommt.
2. Fraglos ist es völlig richtig, die baulichen und infrastrukturellen Verdichtungsmöglichkeiten im Kernbereich der Stadt vorrangig zu nutzen, aber das ändert nichts daran, dass manche sozialen Gruppen – und zum Teil gerade die, die man in der Stadt halten möchte – zu beträchtlichen Anteilen eben nicht den Wunsch haben, sich urban verdichten zu lassen. Daran, dass die Kinder aus verschiedenen Gründen nicht draußen spielen können oder dürfen oder dass die Freizeitorganisation für die Kinder in der Stadt ein extrem aufwändiges Familienmanagement erfordert, ändert auch kein Baulücken- und kein Stadtteilverschönerungsprogramm so bald etwas.
Im Gegenteil – je mehr Innenverdichtung betrieben wird, desto mehr Freiflächen, die sich noch „erobern“ lassen, gehen verloren. Und je weniger junge Familien noch innerhalb der Stadtgrenzen bleiben, desto schwieriger wird es, die Stadt kinder- und familienfreundlicher zu machen.
3. Als weiteres Prinzip neben der „Maßstäblichkeit“ wird in dem Memorandum „mehr Platz zum Experimentieren“ angemahnt. Sehr richtig, aber auch hier stellt sich die Frage: Womit und wohin experimentieren? Einen guten Ansatz könnte die aktuelle Scheindebatte zwischen den Fraktionsvorsitzenden von SPD und CDU abgeben, die sich als Entbürokratisierer zu überbieten versuchen, aber bislang nicht wagen, auch nur ein konkretes und plausibles Beispiel für eine sinnvolle Entbürokratisierungs- und Deregulierungspolitik öffentlich zu nennen. Als Stadtstaat und kleinstes Bundesland könnte Bremen hier aber eine wirklich interessante Vorreiter- und Experimentierrolle übernehmen.
Ob es um den Ladenschluss, um das Bau- und Planungsrecht, die Arbeitsmöglichkeiten für Zuwanderer oder viele andere Regulierungen geht: Klar ist, dass die Innovationskraft und Entwicklungsmöglichkeit von Städten, die sich räumlich und sozial immer stärker differenzieren, durch allzu stark vereinheitlichende und verallgemeinernde Vorschriften sehr begrenzt wird. Ein vorwärtsweisendes politisches Projekt wäre eine vorsichtige und kontrollierte Öffnung, bei der genau zu prüfen wäre, wer die Gewinner und Verlierer solcher Strategien sind, welche innovativen Effekte damit tatsächlich erreicht werden können, wie sicherlich notwendige Abfederungsmaßnahmen beschaffen sein müssten usw.
Sicher lassen sich die richtigen Ansätze in dem Memorandum noch an etlichen anderen Stellen weiterdenken. Genau das wäre aber auch wirklich notwendig, damit der Anspruch auf „Mut und Ehrlichkeit“ eingelöst wird.
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