: Die Dinge verschwinden lassen
Reichte früher ein zur Hochzeit angelegter Haushalt fürs ganze Leben, muss man sich heute bei jedem Umzug aufs Neue überlegen, wie man sein Hab und Gut unterbringt. Begehbare Schränke sind eine Möglichkeit
von MICHAEL KASISKE
Ein kahler Raum, dazu ein blitzblanker Boden und ein leer geräumter Schreibtisch – in den das Ideal spiegelnden Images der Werbung fehlen meist die Spuren des Gebrauchs. Betten sind immer ohne Bettzeug abgebildet, als würden sich Menschen jemals ohne schützende Hülle schlafen legen. Und die Spezies, auf deren Schreibtisch sich nur ein Laptop und sonst nichts befindet, ist ebenfalls äußerst rar. Doch abgesehen vom Schein der Werbung bleibt die Frage: Wo wird der ganze alltägliche Kram tatsächlich verstaut?
Dass meine Oma ihre geschätzten Illustrierten hinter die Sofakissen stopfte, war eine Marotte, keine Notwendigkeit, die aus Mangel an Aufbewahrungsorten entstanden wäre. Ihr Haushalt, kriegsbedingt der zweite, erscheint in der Retrospektive erstaunlich klein und übersichtlich, verglichen mit dem meiner Eltern, der in den späten 1950er-Jahren zu wachsen begann. Mein eigener Hausstand hat sich in den zwanzig Jahren seines Daseins trotz zahlreicher Wohnungswechsel stetig vergrößert und „staut“ wortwörtlich in zahlreichen Behältnissen.
Aufschwung der Dinge
Die Welt der 1901 im ländlichen Pommern geborenen Großmutter bestand dagegen ganz klassisch aus Truhen und Schränken, in denen die Sachen übereinander gestapelt lagerten. Der zur Hochzeit angelegte Haushalt reichte in der Regel für ein ganzes Leben, schließlich wurden die Dinge einfach aber wirkungsvoll vor Staub und Schädlingen geschützt: Kleidung und Wäsche in ein- oder zweitürigen Kammerschränken, Geschirr und Töpfe in Küchenborden.
Die nachfolgende Generation benötigte wesentlich geräumigere Lagerstätten in der Wohnung. Es mag die Zusammenkunft von als Kind im Krieg erfahrenen Entbehrungen mit den durch Massenproduktion erschwinglich gewordenen Gegenständen gewesen sein, unterstützt durch den wirtschaftlichen Aufschwung Mitteleuropas, wodurch das Bedürfnis ausgelebt werden konnte, viel Habe anzuhäufen. Die Notwendigkeit, alles zu verstauen, war die Geburtsstunde ausbaufähiger Schrankwände.
Dieses Möbel ist materialisierter Fortschrittsglaube. Ab Mitte der 1950er-Jahre machten Firmen wie Behr International oder Interlübke – solche Namen tragen den universellen Anspruch der Möbel schon in sich – den Anfang mit Anbauwänden aus weiß beschichteten Spanplatten, deren Kanten oder Fächertüren zunächst furniert, später dann auch ganz weiß waren. Vorreiter der das Wohnzimmer revolutionierenden Schrankwände war das 1955 entworfene System BMZ, was schlicht „Behr-Möbel-Zerlegbar“ hieß. Doch einem häufigen Auf- und Abbauen hielten die wenigsten Anbauwände stand: Die Verbindungen, die der Schranktüren oder die Bohrungen für Einlegeböden, brachen häufig aus den Spanplatten heraus oder leierten aus.
Bei meinen Eltern hielt dann jedenfalls in den 1970er-Jahren, passend zum neu errichteten Bungalow, das Fake einer „Stollenwand“ Einzug. Als ein fest gefügter Kasten unterschied sich dieses Objekt in Eiche rustikal von den echten, bei denen mit Stollen die senkrechten Stützen gemeint waren, in denen Böden oder Schrankboxen variabel eingehängt werden konnten.
Zeitgemäßes Verzichten
Die heute sich einrichtende Generation hat kein Interesse mehr an solchen raumgreifenden Möbeln. Der Trend geht zur Reduktion, nicht zuletzt, um mit der Habe beweglich zu bleiben. Das erklärt wohl auch, warum die Produktion der Klassiker längst eingestellt wurde und man sie deshalb nur noch manchmal in Lagern der BSR findet, nicht in den einschlägigen Geschäften.
Im privaten Raum zeichnet sich eine Entwicklung ab, die ihr Vorbild in den „Closets“ genannten begehbaren Schränken findet, die in den Vereinigten Staaten seit Jahrzehnten Standard sind. In den Wohnungen New Yorks verbergen sich hinter den Türen der Closets respektable Räume, in denen man alles verstauen kann, was nicht herumliegen soll, vom Staubsauger bis zur Schmutzwäsche.
Kombinierte Lösungen
Um diese Dinge verschwinden zu lassen, die alltäglich anfallen und nur in Schüben beseitigt oder benutzt werden, bietet die Möbelindustrie hierzulande mittlerweile Systeme an, die einem eingebauten Schrank gleichen. Ein anschauliches Beispiel ist das System „Delta Raumplan“ von Ars Nova Collection, das aus den beiden voneinander unabhängigen Komponenten Schiebetür und Regal besteht.
In einer Führungsschiene auf dem Boden und der Hängeschiene an der Decke laufend, trennen großformatige Wandteile den nutzbaren Raum vom Stauraum ab. Ob der betretbar ist oder ob dahinter lediglich ein schmales Regal steht, bleibt dem Nutzer selbst überlassen. Der Vorteil der Delta-Raumplan-Schiebetüren gegenüber den herkömmlichen Schranklösungen ist ihre Variabilität, was die Maße und auch was ihr Material betrifft. So kann das System selbst unter Dachschrägen Anwendung finden. Oberflächen etwa aus lackiertem Holz oder mattem Glas strahlen Ruhe und Noblesse aus, und wie ordentlich es hinter den Schiebetüren aussieht, bleibt jedem selbst überlassen.
Stapeln und Verstecken
Leider bin ich in meiner Wohnungsentwicklung nicht so weit, dass ich die Dinge so praktisch verschwinden lassen könnte. In der aktuellen Wohnung stapeln sich Bücher auf dem Boden und Pappboxen auf den Regalen. Einiges ist auch in Kisten und hinter Zimmertüren verbannt.
Somit ist bei mir, ganz zeitgemäß, ebenfalls Selbstbeschränkung angesagt, spätestens mit dem nächsten Umzug. Was mit Sicherheit ausgemustert werden wird, sind die Regale aus verzinktem oder lackiertem Blech, die im Handel als „Kellerregale“ firmieren. Noch stapeln sich Kleidung in dem einen und Geschirr auf zwei weiteren. Wenn ich diesen überbordenden Wirrwarr auch nicht hinter Sofakissen stopfen würde (allein schon, weil ich keine habe), werde ich versuchen, wie schwer es auch sein mag, es mit meiner Großmutter zu halten: den Dingen trotzen und einfach einen übersichtlichen Hausstand führen.
Ars Nova Collection, www.deltaraumplan.de, Direkt-Vertrieb in Bremen, Oldenburg, Oyte, Lüneburg
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