wie spd-bundestagsabgeordnete junge menschen umwerben – und die sich wiederum für eine parteikarriere bewerben: Aber bitte, wenn die Kommunikationsfuzzis meinen
„Politikcheck, oder wie heißt der?“, fragt Wolfgang Thierse
Einige SPD-Bundestagsabgeordnete haben ins Piccolo eingeladen. Und alle sind da. Theo Waigel stemmt einen Maßkrug. Peter Struck trinkt aus einer Borussia-Dortmund-Tasse. Helmut Kohl hält weder Tasse noch Humpen, aber er grinst fröhlich und sieht dabei verhältnismäßig schlank aus. Ihn gibt es gleich mehrmals. In Großaufnahme und in Schwarzweiß. Die Politikerdichte in der Kneipe ist enorm.
Vor den Porträts steht der echte Wolfgang Thierse und hält eine kleine Rede, wobei er auch die neben ihm in einer Reihe Aufgestellten vorstellt: Klaus Uwe Benneter, Petra Merkel und Swen Schulz, allesamt Mitglieder des Bundestags aus Berlin. Der „Politikcheck – oder wie heißt der? –“, Thierse ist sich da nicht ganz sicher, hat alle zum Brunchen in das Lokal geführt. Gut 50 Studenten, darunter unerklärlicherweise überzufällig viele Physiker, und vier SPD-Politiker.
Mit dem Politikscheck will die Partei Studenten bundesweit die Politik kennen lernen lassen. 20.000 Einladungs-Kärtchen haben sieben Berliner Abgeordnetenbüros im Herbst verteilt. Mehr als dreihundert Studenten haben den Scheck eingelöst, um einmal ein Stündchen mit Bundestagspräsident Thierse zu plaudern, eine Fahrt vom Außenministerium übers Innenministerium bis in den ehemaligen Stasi-Knast zu unternehmen. Oder eben an einem Januarsonntag bei belegten Brötchen, Nudel- und Kartoffelsalat mit Originalpolitikern zu diskutieren.
In Thierses Begrüßungsrede vor studentischem Publikum geht es natürlich auch um das Stichwort „Elite“, das er selbst, sagt er, für „saublöd“ halte. Aber bitte, wenn die „Kommunikationsfuzzis“ meinen, man müsse so ein Wort verwenden, damit die Leute überhaupt zuhören, sollen sie es tun. Er will „die Unis in der Spitze fördern und in der Breite“.
Nach der Begrüßung hopst er zügig zum Buffet, um anschließend die Studenten an seinem Tisch politisch zu unterhalten. Er wirft die Hände um sich, isst, erzählt, erklärt, akzeptiert zwischendurch kleine Anfragen der Zuhörer, hat aber selbst viel zu viel loszuwerden. Scharping, der hinter ihm hängt, hätten auch diese „Kommunikationsfuzzis“ dazu getrieben, mit seiner Gräfin in den Pool zu springen. Weil er nicht mehr so steif wirken wollte, so verklemmt. So was würde er, Thierse, nie machen. Obwohl er in manche Talkshows gehe, um dort etwa über Fußball zu sprechen, „weil ich ziemlich viel von Fußball verstehe, ich wäre ein ziemlich guter Fußballreporter“. Auch vorlesen kann er: „Ich bin ein guter Vorleser.“ Schließlich war er Germanist, bevor er Politiker wurde. Das empfiehlt er auch allen: einen ordentlichen Beruf zu lernen, bevor sie Politiker werden. Die jetzt mit 18 als „Berufspolitiker“ anfingen, „was müssen das in 30 Jahren für Krüppel sein“. Besser macht man es wie Wolfgang Thierse. Vom guten Vorleser zum guten Politiker werden.
Es ist ganz seltsam, aber er wirkt, während er all das sagt, von Satz zu Satz immer sympathischer. Und als er nach zwei Stunden aufsteht, die Jacke überwirft und verschwindet, ist der Tisch, an dem er saß, sofort verlassen. Die Studentinnen, die sein furioser Auftritt zu Thierse-Groupies gemacht hat, sind immer noch begeistert. Zum Essen, sagt eine mit geröteten Wangen, seien sie gar nicht gekommen. So aufregend war das.
Klaus Uwe Benneter hat nicht ganz so viele Fans. Aber die Studentin, die nun auf Thierses Platz sitzt, findet ihn total sympathisch und überlegt sogar, in die Partei einzutreten. Hätte Benneter natürlich nichts dagegen. Auch wenn es bei der Politikscheck-Aktion nicht in erster Linie um Mitgliederwerbung gehe. Er hat keine Aufnahmeanträge dabei, nur Kalender mit einem Porträtfoto und seiner Adresse.
Manch jugendlicher Politikschecker ist merklich mehr an der eigenen Karriere als am Parteieintritt interessiert. Klaus Uwe Benneter politikberät einen, wie er denn wohl am besten an ein Praktikum in Thierses Büro kommen könnte. Ein anderer geht gleich zu Beginn auf Swen Schulz zu, der daraufhin dessen Bewerbung lobt. Richtig „neugierig“ habe die ihn gemacht.
Die Kosten für den Politik-Brunch teilen sich die sieben Abgeordnetenbüros. Irgendwie bleibt das Geld aber in der Partei – das Piccolo gehört dem Genossen Andreas Matthae. Der ist in Berlin stellvertretender Landesvorsitzender. JOHANNES GERNERT
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen