sarrazin holzt wieder: Immerhin kein Langweiler
Vielleicht trügt die Erinnerung, aber es gab einmal eine Zeit (wenn auch nur eine kurze Weile), da konnte einem dieser Thilo Sarrazin schon imponieren: Da rauschte der neue Senator für Finanzen forsch herein in den Berliner Muff, benannte diesen und brachte so frischen Wind in die Stadtpolitik, die in Jahrzehnten erstarrt und verfettet war. Der SPD-Mann wirkte zwar etwas brutal, aber kompetent – wie das halt manchmal so ist bei Menschen dieses Schlags.
KOMMENTAR VON PHILIPP GESSLER
Doch nun, nach fast zwei Jahren Rot-Rot im Rathaus und Sarrazin als Geldverwalter, ist dieser Anfangskredit verbraucht: Die Einwürfe des Obersanierers der Stadt wirken seit einiger Zeit vor allem brutal. Und kompetent nur noch selten. Wenn der Senator jetzt beispielsweise frei von der Leber verkündet, dass die Technische Universität auch mit 10.000 Studienplätzen auskommen könne, fragt man sich schon: Sarrazin mag ja Finanzexperte sein – was aber macht ihn zum Hochschulfachmann?
Sicher, Klappern gehört zum Handwerk, und ein schweigend vor sich hin rechnender Finanzsenator wäre für die Stadt in ihrer desaströsen Finanzlage sehr rasch auch zum Schaden. Denn zur Politik gehört eben auch, Diskussionen anzustoßen, Neues zu denken, ja manchmal Tabus zu brechen. Dafür aber den richtigen Ort und den rechten Zeitpunkt zu wählen, bedarf es eines guten Timings und Fingerspitzengefühls, will man etwas in der Politik erreichen. Das aber geht Sarrazin fast völlig ab. Dies ist auch ein politisches Versagen.
Immerhin: Zu den Langeweilern gehört Sarrazin nicht – und angeschleimt an die wechselhafte öffentliche Meinung hat er sich nie. Der Mann braucht nicht viele Freunde, dafür Respekt. Ob dies allerdings eine politische Tugend ist, sei dahingestellt.
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