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Besoffen vom Atmen

Das „Osborne“ ist eine der Hamburger Kneipen, in die es Fußball-Fans nach dem Spiel zieht. Das sieht man: an den behängten Wänden und manchmal an eingeworfenen Scheiben

VON ROGER REPPLINGER

Das „Osborne“ in der Friedrichstraße gehört zu den Orten auf der Welt, an denen man vom Atmen besoffen wird. Und vom Fußball. Das Osborne heißt so, weil der Wirt vor vielen Jahren versuchte, in diesem Brandy ins Jenseits zu schwimmen. Seit der Wirt Osborne nicht mehr in der Leber, sondern nur noch im Herzen hat, trinkt er Kaffee. Er heißt Hermann Neuters, ist 62, in Berlin-Neukölln geboren, raucht selbst gedrehte Filterlose, hat lange, graue Haare, trägt Kappe, und wer ihn nicht mag, hat ein Rad ab.

Rechts steht ein Kicker. Greenhorns wissen nicht, dass es eine Lampe überm Tisch gibt und beschweren sich übers trübe Licht, in dem man nicht gut kickern kann. „Mach’s Flutlicht an“, rät Hermann.

Im Osborne ist mehr Fußball als in manchem Fußballer, mehr Pauli als in einigen Spielern des FC. Wer dieses Gefühl kennt, den Anflug eines Katers, der nach dem Spiel kommt, das Frösteln, das Ziehen, die Einsamkeit, ein kleiner Affe, der einen beißt, wer das alles kennt, findet hier die Mittel dagegen.

Hermann ist so lange in der Stadt, dass er noch vom Starclub erzählen kann. Er war Stauer, er hat den Wandel im Viertel beobachtet, weiß noch genau, wie die Mädels den ganzen Tag an den Ecken standen, deutsche Luden den Kiez im Griff hatten. „Hat sich alles total verändert“, sagt er. Wo heute das „Osborne“ ist, war mal das „Goldene Fass“. Im Fass lernten sich Hermann und Rosi kennen. Rosi, die unbedingt eine Kneipe wollte. Er wusste, was das heißt. Sie nicht. Die beiden haben geheiratet, Rosi setzte ihren Kopf durch. Er hängt an ihr, die Kneipe an ihm, die Gäste an der Kneipe. So hängt es zusammen.

Seit 15 Jahren hat er das Osborne. Ungefähr. Davor, acht, neun Jahre lang, hatte er die Kneipe nebenan. Die hieß „Hermann und Rosi“. Zwischen nebenan und Osborne hatte er die Kneipe gegenüber, für zwei Jahre, die seitdem alle paar Monate den Pächter wechselt. Weil die Wirte nur noch am Wochenende aufmachen, einen Türsteher haben, nicht selbst hinterm Tresen stehen, Nebenkosten und Mieten steigen. „Da kannste nich’ mit“, sagt Hermann.

Walter Frosch, Schornsteinfeger, Verteidiger, 1976 von Hertha zum FC St. Pauli gewechselt, war Stammgast. Genau wie Trainer Michael Lorkowski, der ihn nicht mehr wollte. Lorkowski kommt heute noch, wenn er in der Gegend ist. Die Leute vom Fanladen waren hier, alle Aufstiege wurden hier begossen, Abstiege auch. Hermann hat Kloppereien gesehen, vor, und ein paar auch in der Kneipe. HSV- und Pauli-Fans haben sich gekloppt, wobei es, wenn Hermann erzählt, so klingt, als hätten die einen die anderen verprügelt. Scheiben gingen zu Bruch. Auch die des „Osborne“. So oft, dass die Versicherung nicht mehr zahlt.

Hermann ist den HSV-Fans gegenüber objektiv genug, zuzugeben, „dass es besser geworden ist“. Aber wenn HSV-Fans nach dem Ausscheiden aus dem Uefa-Pokal gegen Leverkusen zwanzig Bayer-Fans im „Osborne“ sehen, gehen Scheiben zu Bruch und der BGS rückt aus. Ist ein halbes Jahr her. Es gab nie schwere Verletzungen, ein HSV-Fan hat mal in die Decke geschossen und einen Schal des SV Meppen getroffen. Das Loch kann man sehen.

Hier hängen überall Schals: VfB Concordia Britz, SGC Neversdorf, Manchester United, FC Barcelona, MSV Duisburg, 1.FC Nürnberg, VfB Stuttgart. Hinter den Spirituosenflaschen liegen Bälle, auf denen Ottens, Kocian, Ippig und andere unterschrieben haben. Hermann war mal FC-Kleinsponsor. Pauli-Mannschaftsfotos: Ippig in der A-Jugend. Schals vom SV Erbach, FC Schweinfurt 05 und viele Wimpel. Auf dem Männerklo steht: „Alle scheißen auf den FC Bayern München“. Hier gibt man was von seinem Club und damit etwas von sich her. Ist nur kompliziert ausgedrückt für – Liebe.

Hermann hat einen Ort, an dem er Schals aufbewahrt, für die er keinen Platz hat. Er hat auch Trikots, die er nicht aufhängt. Eines von den Bayern mit Unterschriften von Grahammer, Kögl, Scheuer usw. Eine Tischdecke von der Weihnachtsfeier des SpVgg Unterhaching. Das erste Adidas-Trikot von Matthias Sammer, Dynamo Dresden, hat er an die Decke gepinnt. Die Kneipe hat 60 Quadratmeter, Hermann macht sie Wochentags um 17 Uhr, freitags um 16 Uhr, sonnabends um 11 oder 12 Uhr auf, und sie bleibt offen bis der Letzte geht. Im Schnitt ist das um sechs Uhr morgens. „An wenig Schlaf gewöhnt man sich“, sagt er. Wenn Pauli spielt hilft ihm einer.

Alle fünf Jahre kommen die Jungs aus Aegidienberg im Siebengebirge, ein kleiner Ort bei Bad Honnef und versaufen ihre Mannschaftskasse. Die Jeans an der Decke zeugt davon. Hermann nimmt 1.80 Euro für eine Flasche Bier. Schickt keinen weg, der Premiere-Fußball guckt und wenig trinkt. Schmeißt keinen raus, der einpennt. Vielleicht muss man noch wissen, dass das Haus ums Osborne herum aus geklauten Steinen gebaut wurde. Hätte man auch was anderes draus bauen können, aber so ist es auch nicht schlecht.

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