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Kaffee, Neonschrift und Notbremse

Alle Züge stehen still, wenn die Bahn-Gewerkschaft es will. Gestern wollte sie, um mit einer starken Drohkulisse in die dritte Runde der Tarifverhandlungen einzusteigen. Bahn-Vorstand hält trotzdem am Inflationsausgleich von 1,3 Prozent fest

von unseren KorrespondentInnen

Berlin, Bahnhof Zoo, 7 Uhr: „5 % jetzt“ steht in neonroter Schrift auf Stoff gesprüht, das Reisezentrum ist gerammelt voll. Nicht mit Kunden – die waren ja gewarnt. Vielleicht 100 Eisenbahner drängen sich um Betriebsrat Klaus Just, der die Parole ausgibt, „Druck für Lohnangleichung zu machen“. Die Berliner jedenfalls nehmen den „Druck“ gelassen. „Was soll’s“, fragt Moritz Heller, der „nur“ in Skiurlaub will. Beginnt der eben 40 Minuten später. „Nur die Füße sind kalt“, sagt Heller. Wird ihm in den nächsten Tagen noch öfter passieren.

Hamburg, Hauptbahnhof, 7.30 Uhr: Temperaturen um den Gefrierpunkt. Aber Kaffee umsonst. Führungskräfte der Deutschen Bahn verteilten 1.000 Pappbecher, um Wartende zu besänftigen. 140 Züge sind in Schleswig-Holstein und Hamburg betroffen. Auch die S-Bahn. 1.000 Becher werden da kaum reichen. „Die meisten haben Verständnis“, erklärte ein Gewerkschaftssprecher. Zumindest die, die Kaffe abbekommen.

Köln, Hauptbahnhof, 8 Uhr: Das mit dem Kaffee muss Manie sein. „Durchmogeln“ wollte sich Claudia Duffke, die S-Bahn nach Leverkusen nehmen. Jetzt steht die 29-Jährige am Bahnsteig und schlürft Kaffee. Jedenfalls war das mit der S-Bahn nicht die beste Idee: In der Domstadt ist fast ausschließlich der Nahverkehr betroffen. Die wenigen ICE-Verspätungen bewegen sich im auch ohne Streik üblichen Rahmen von 5 bis 15 Minuten. Insgesamt hatten laut Bahnsprecher Jürgen Kugelmann in Nordrhein-Westfalen 277 Nahverkehrszüge mit rund 6.900 Minuten Verspätung, Fernreisezügen nur 600 Minuten. Allerdings war nicht jede Verspätung streikbedingt. Die Durchsage eines U-Bahn-Führers: „Wundern Sie sich nicht, dass wir stehen: Ein Dummkopf hat die Notbremse gezogen.“

Frankfurt/Main, Bahnhof Hauptwache, 9 Uhr: Nicht nur Züge stehen still, sondern auch S-Bahnen, die die Pendler aus dem Umland in die Stadt bringen. „Mit der U-Bahn zur Konstabler Wache, da in den 32er, den 34er Bus, dann umsteigen in Bockenheim …“ – Fahrgäste knobelten an den Gleisen unter sich nach Alternativen, um zumindest irgendwie von A nach B zu kommen. Nein, Kaffee kann hier nicht trösten. Man hat schließlich selbst einen Job zu verlieren.

Dresden, Bahnhof Neustadt, 12 Uhr: Ein Bahnmitarbeiter kehrt die Pappbecher zusammen. Oben rollt der Verkehr. Als sei nichts gewesen.

JULIANE GRINGER, LENA GORELIK PASCAL BEUCKER, HEIDE PLATEN

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