piwik no script img

Bange Hoffnung

Die Ausgrenzung der Hochspringerin Gretel Bergmann begann 1933, kurz nach der Machtübernahme Hitlers am 30. Januar. Um sich bei den Nazis anzubiedern, hatte die Deutsche Turnerschaft den Ausschluss aller jüdischen Mitglieder beschlossen. Der Bann traf auch Margaret Lambert, die unter ihrem Mädchennamen Gretel Bergmann für den Ulmer Fußballverein startete und eine der besten Hochspringerinnen Deutschlands war. 19-jährig stand die Sportlerin vor dem Nichts – keine Wettkämpfe mehr, keine Sportlehrerausbildung an der Berliner Hochschule für Leibesübungen.

Dem Schock folgte der Umzug nach London, der britische Meistertitel und die Hoffnung, für Großbritannien an den Olympischen Spielen 1936 in Berlin teilnehmen zu können. Am Tag des Titelgewinns der nächste Schlag: Ihr Vater war nach London gekommen, um ihr mitzuteilen, dass die Nazis ihre Rückkehr nach Deutschland wünschten, wo sie einen Platz im deutschen Olympiateam bekomme. „Ich musste zurück“, sagt sie, „sie haben meine Familie bedroht.“ Aber wie ernst war das Angebot mit Olympia gemeint? Gab es wirklich eine Chance? Die junge Frau hatte von Anfang an ein schlechtes Gefühl.

Nach ihrer Rückkehr 1934 war Gretel Bergmann zwar Mitglied im deutschen Olympiateam. Aber richtig dazu gehörte sie nicht. Weil sie Jüdin war. „Ich hatte nicht einmal ein Stadion zum Trainieren“, sagt sie. Was sie damals nicht wusste: Die USA und andere Länder hatten wegen der Ausgrenzung jüdischer Sportler in Deutschland einen Olympiaboykott erwogen, den die Nazis mit allen Mitteln verhindern wollten. Und sie, die jüdische Hochspringerin, war die wichtigste Schachfigur in diesem Plan der deutschen Sportführung. Die Botschaft an den Weltsport: Wer eine Jüdin in seine Olympiamannschaft beruft, kann nicht judenfeindlich sein. Irgendwie gelang es, den amerikanischen NOK-Präsidenten Avery Brundage auf seiner Inspektionsreise über die Zustände in Deutschland hinwegzutäuschen – die Amerikaner ließen den Boykottplan fallen.

Gretel Bergmann war fast zwei Jahre lang von fast allen Wettkämpfen gegen die „arische“ Konkurrenz ausgeschlossen, andererseits wurde sie in unregelmäßigen Abständen zu Lehrgängen des Olympiakaders eingeladen – in Briefen, die mit „Heil Hitler!“ unterschrieben waren. Schließlich traf ein Formular mit dem Titel „Meine Verpflichtung“ ein, das alle Olympiakandidaten auszufüllen und zu unterschreiben hatten. Meinten es die Nazis doch ernst? Gretel Bergmann hatte die Hoffnung auf ihr größtes sportliches Ziel noch nicht aufgegeben und verpflichtete sich. Ihre Gewissensnöte aber wurden immer größer.

Ende Juni 1936 gewann Gretel Bergmann die württembergische Meisterschaft in der Stuttgarter Adolf-Hitler-Kampfbahn (heute Gottlieb-Daimler-Stadion) mit der Höhe von 1,60 Metern, was die Einstellung des deutschen Rekords bedeutete. Zwei Wochen später kam ein Brief, in dem ihr mitgeteilt wurde, dass sie „nicht beständig genug“ gewesen und „aufgrund ungenügender Leistungen“ nicht in die Olympiamannschaft aufgenommen worden sei.

Das amerikanische Olympiateam hatte zu diesem Zeitpunkt bereits die USA per Schiff verlassen. Eine Umkehr war unwahrscheinlich. Das Schicksal der jüdischen Hochspringerin ging im Trubel der beginnenden Sommerspiele unter. Den Konkurrentinnen wurde erzählt, sie sei verletzt. Und die Goldmedaille ging schließlich an die Ungarin Ibolya Csak. Die neue Olympiasiegern sprang 1,60 Meter hoch, und sie war Jüdin. JÜRGEN ROOS

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen