: Die Kids im Haushaltsloch
Morgen gehen die Senatoren in Klausur. Auf der Tagesordnung steht auch die Kleinkindbetreuung in Berlin. Finanzchef Sarrazin und Bildungssenator Böger werden wohl über Geld statt Qualität streiten
von MATTHIAS BRAUN
Thilo Sarrazin mag Hamburg. Denn in der konservativ regierten Hansestadt läuft aus seiner Sicht nicht nur vieles anders, sondern besser. Diese These vertritt der sozialdemokratische Finanzsenator immer wieder gern. Zuletzt im Politmagazin „Panorama“. Dort sagte er vergangene Woche: „Wir [in Berlin] haben dieselbe Kriminalitätsrate wie Hamburg, haben aber gleichzeitig 40 Prozent mehr Polizei.“ Das klingt plausibel.
Doch manchmal scheint es, als baute Thilo Sarrazin seine Vergleiche auf unterelbische Sandbänke. Berlin gebe zumviel Geld für die Betreuung von Vorschulkindern aus, zitierte ihn der Tagesspiegel. Und wieder ein Vergleich mit der Hamburger Schule: Dort gehe das alles viel billiger. Für Kinder unter zehn Jahren gebe Berlin, verglichen mit der Nordmetropole, fast das Doppelte aus.
„Die Zahlen bieten keine solide Grundlage für eine Diskussion“, widerspricht der jugendpolitische Sprecher der CDU, Sascha Steuer. Hamburgs Bewohner seien reicher, dort wohnten weniger allein Erziehende. Doch Sarrazins Sprecher Claus Guggenberger hält dagegen: „Berlin gibt in allen Bereichen mehr aus als die meisten andern deutschen Städte.“ Kinderbetreuung sei da nur ein Thema unter vielen.
Nicht so am morgigen Sonntag. Bei der Senatsklausur steht das Thema Kindertagesstätten weit oben auf der Tagesordnung. Nach der Vorlage des Finanzsenators werden die Ressortschefs wohl vor allem über Geld streiten. Eigentlich aber sollten Qualitätsmaßstäbe diskutiert werden, fordert Steuer. „Wir müssen weg von der Gelddebatte.“ Denn schließlich gehe es darum, Kindertagesstätten als Bildungseinrichtungen weiterzuentwickeln, sekundiert die Jugendpolitikerin der PDS, Margrit Barth.
Zwischen Sparzwang und Qualitätssteigerung bleiben drei Auswege. Erstens ließen sich Kitaplätze abbauen. Zweitens könnten weitere staatliche Tagesstätten in freie Trägerschaft überführt werden. Drittens hieße es Geld sparen, baute man das Angebot an Tagesmüttern aus.
Doch gerade Letzteres halten Experten für eine halbherzige Verbeugung vor dem Geldmangel. „In der Vorschulbetreuung auf Tagesmütter zu setzen wäre eine rückwärts gewandte Politik“, sagt Klaus Schroeder, Landesvorstand der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Denn Tagesmütter seien keine qualifizierten Kräfte. Sie böten alles andere als frühkindliche Bildung, so Schroeder. Weil in den ersten Lebensjahren die Grundlagen einer erfolgreichen Schulbildung gelegt werden, lehnt er es ab, Kleinkindbetreuung durch nicht ausgebildete Mütter zu fördern. „Gerade nichtdeutsche Kinder brauchen fachlich geschulte Erzieher, wenn sie später in der Schule sprachlich mithalten sollen“, meint Schroeder.
Staatliche Kindertagesstätten von freien Trägern betreiben zu lassen ermöglicht es dagegen, Geld zu sparen, ohne auf eine qualifizierte Vorschulbildung zu verzichten. „Private Betreiber helfen, teure Verwaltungsapparate abzubauen“, sagt Martin Hoyer. Darin ist sich der Referent beim Paritätischen Wohlfahrtsverband einig mit den Fachpolitikern der rot-roten Koalition. „Freie Träger haben gegenüber der staatlichen Verwaltung die effektiveren Strukturen“, sagt PDS-Frau Margrit Barth. Im letzten Jahr wurden 1.000 Berliner Kindergartenplätze an private Betreiber abgegeben. Im Koalitionsvertrag hat Rot-Rot das Ziel formuliert, zwei Drittel der Berliner Kindertagesstätten von privaten Verbänden verwalten zu lassen. Bisher liegt die Quote bei rund der Hälfte.
Doch die Wohlfahrtsverbände wollen Kindertagesstätten nicht um jeden Preis betreiben. „Wir sind gegen reine Verwahranstalten. Deshalb brauchen wir garantierte finanzielle Standards“, sagt Martin Hoyer. Er wolle nicht jedes Jahr wieder mit einer neuen Idee konfrontiert werden, wie gespart werden könnte. „Wir brauchen verlässliche Geschäftspartner.“
Bliebe die Streichung von Betreuungsplätzen als Sparmaßnahme. Weniger Plätze, gleich bleibende Qualität. Doch da ist Klaus Böger vor. „Eine gute Betreuung ist ein Standortfaktor für Berlin“, sagte er. Bleibt abzuwarten, ob der Bildungssenator sich damit gegen den Finanzsenator durchsetzen kann.
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