piwik no script img

Letzte Chance für Zuwanderer

Sieben Politiker von Regierung und Opposition sollen sich bis Ende Februar auf ein Zuwanderungsgesetz einigen. Grüne glauben nicht an Kompromiss mit der Union

BERLIN taz ■ Im Dauerstreit um das Zuwanderungsgesetz gibt es neue Hoffnungsträger. Eine auf sieben Personen verkleinerte Gruppe mit Vertretern von Rot-Grün, Union und FDP soll sich in den nächsten Wochen treffen, um einen letzten Einigungsversuch zu starten. Am 27. Februar wird im Vermittlungsausschuss Bilanz gezogen.

Im Erfolgsfall würden die Teilnehmer der kleinen Runde als die glorreichen Sieben in die Geschichte eingehen. Sie hätten einen Konflikt gelöst, der vor fast vier Jahren begann und seinen traurigen Höhepunkt im März 2002 mit dem unwürdigen Abstimmungstheater im Bundesrat erreichte. Nun scheint es erstmals wieder Bewegung zu geben.

Nach langem Schweigen hat sich Gerhard Schröder in die Verhandlungen eingeschaltet. Im Zuge der Innovationsdebatte erinnert sich der Kanzler auch an die Zuwanderungsreform. Auffallend oft erwähnt er sie seit Jahresanfang, am Montag zeigte er sich zuversichtlich, dass es „in der nächsten Zeit“ zu einer Verständigung kommen werde.

Die wiederentdeckte Begeisterung Schröders für das Zuwanderungsgesetz löst nicht bei allen Beteiligten Freudenstürme aus. Die Grünen befürchten, bei einem Kompromiss zwischen den großen Volksparteien unter die Räder zu kommen.

Auffallend oft haben sich deshalb in den letzten Tagen auch die grünen Spitzenpolitiker zu Wort gemeldet, die sich monatelang zurückgehalten hatten und ihren einzigen Vertreter im Vermittlungsausschuss, Volker Beck, allein verhandeln ließen. Jetzt bekunden auch Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt und Parteichef Reinhard Bütikofer wieder Interesse am Gang des Geschehens. Und sie tun es in einer Weise, die der SPD gar nicht behagt. Anders als der Kanzler betonen sie nämlich nicht die Chancen, sondern ihre Skepsis. Bütikofer äußerte sich „pessimistisch“, was eine Einigung mit der Union betrifft. Göring-Eckardt gab zu Protokoll, notfalls könne Rot-Grün die meisten Regelungen auch ohne Zustimmung der Union verabschieden. „Ich wünsche mir das nicht“, sagte Göring-Eckardt, „aber wenn es nicht anders geht, werden wir das so machen müssen.“

Ein Alleingang der Koalition wäre jedoch das Letzte, was sich der Kanzler wünscht. Um der Union das heikle Thema Einwanderung als Wahlkampfschlager wegzunehmen, hofft Schröder immer noch, die Opposition für ein gemeinsames Gesetz ins Boot zu holen. Nur um welchen Preis? Nicht nur in der Flüchtlingspolitik ist die SPD weit eher als der grüne Partner geneigt, auf Forderungen der Union einzugehen.

Aktueller Auslöser für die pessimistische Haltung der Grünen ist die kategorische Forderung der Union, das geplante Punktesystem für Neueinwanderer zu streichen und den Anwerbestopp aus den 70er-Jahren aufrechtzuerhalten. Damit greift die Union aus Sicht der Grünen den „Kern“ des rot-grünen Reformprojektes an, das auf eine vorsichtige Öffnung zielte. „Wenn das das letzte Wort der Union war, dann hat sie das Zuwanderungsgesetz beerdigt“, findet Verhandlungsführer Beck.

In den Kreisen, die Innenminister Schily nahe stehen, wächst angesichts solcher Äußerungen der Ärger auf die Grünen, die das Gesetz „kleinreden“ und „alles dafür tun, dass es nicht zustande kommt“. Auch der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Dieter Wiefelspütz, hält das Vorgehen des kleinen Partners für „inhaltlich und taktisch falsch“. Er wirft den Grünen vor, „völlig unnötigerweise Ausstiegsszenarien durchzuspielen“. Entscheidend seien „nicht einzelne Punkte“, so Wiefelspütz, sondern „das Gesamtpaket“.

Angela Merkel verfolgt den rot-grünen Streit bisher gelassen. Auf die manchmal auch nicht ganz klare Haltung der Union angesprochen, erklärte die CDU-Chefin kürzlich: „Ich glaube eher, dass die Koalition das Problem hat, sich einig zu werden.“ LUKAS WALLRAFF

meinung und diskussion SEITE 11

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen