ein arabisches tv-tagebuch: Sélim Nassib über den Krieg auf al-Dschasira
Nicht im gleichen Schützengraben
In Uniform und gepanzerter Weste gekleidet, schwenkt der irakische Innenmister eine Kalaschnikow vor den Kameras, die sich zur Pressekonferenz versammelt haben und versichert, dass sein 12-jähriger Sohn ein ähnliches Modell besitze. Irakische Soldaten, die weiße Fahnen auf den Straßen hochhalten, seien keine irakischen Soldaten. Die Bilder von Panzern, die in die Wüste des Südiraks eindringen, seien nicht im Südirak gedreht worden. Die Scud-Raketen, die, die von irakischen Kräften abgefeuert worden sein sollen, seien keine Scud-Raketen. Die amerikanisch-britischen Kräfte seien nicht in die Stadt Oum el-Kasr einmarschiert. Kurz gesagt: Alles falsch.
Der Informationssender al-Dschasira aus Qatar kommentiert diese nicht überprüfbaren Behauptungen nicht. Er zeigt weiter irakische Häftlinge mit erhobenen Händen auf den Straßen des Südens. „Die Iraker dieser Region sind froh, bald von Saddam befreit zu sein, der sie, in ihrer Eigenschaft als Schiiten, seit langer Zeit unterdrückt“, sagt ein Wissenschaftler aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, der in einer Abaya (das traditionelle arabische Gewand) bekleidet ist. „Aber sie können keine ausländische Macht unterstützen, die in ihr Land einfällt. Sogar zum Zeitpunkt des irakisch-iranischen Kriegs konnten sie sich nicht mit den Iranern solidarisieren, obgleich diese Schiiten sind, wie sie selbst.“
Diese Dilemma scheint heute auch dasjenige von al-Dschasira zu sein. In dem Moment, wo arabisches Blut fließt und die Gefahr besteht, dass sogar noch mehr davon fließt, hat der Sender Schwierigkeiten, seine Lesart, die gleichzeitig gegen den Krieg und gegen Saddam ist, unters Volk zu bringen. Dem kann al-Dschasira nur entgehen, indem der Sender sich an Fakten hält, ohne redaktionelle Leitlinie oder runden Tisch. „Die Meinung und die Meinung der anderen“: So lautet der Satz, der zyklisch wiederkehrt und das Markenzeichen des Senders geworden ist.
Seine Korrepondeten in Bagdad, Mossul oder Bassorah tauchen vor der Kulisse hell erleuchteter Städte auf, in relativer Ruhe, wo selbst der Autoverkehr unverändert weiterrollt. Die Journalisten, die nicht mit den amerikanisch-britischen Truppen im gleichen Schützengraben liegen, begleiten auch nicht deren Panzer, die in die Wüste vordringen. Sie machen eher den Eindruck, als warteten sie auf deren Ankunft am Zielort.
Der libanesische Schriftsteller und Journalist Sélim Nassib lebt und arbeitet seit 1969 in Paris. In einer Kolumne für die Libération, El País und die taz vergleicht er die Kriegsberichterstattung des arabischen Nachrichtensenders al-Dschasira mit der Darstellung auf anderen Sendern, etwa CNN und BBC
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