Die Hertha soll ins Grundgesetz

Berlins einziger Bundesligaverein steht nach dem 0:4-Debakel in Bremen am Abgrund. Mit einer Hauptstadtclub-Debatte will der rot-rote Senat jetzt das Schlimmste verhindern. Und fordert, den Erstligastatus in der Verfassung festzuschreiben

EIN STEILER RÜCKPASS VONROBINSINHO ALEXANDER

Berlin lässt seine Hertha nicht im Stich. Klaus Wowereit will eine Bundesratsinitiative starten: Nicht nur der Hauptstadtstatus Berlins soll im Grundgesetz festgeschrieben werden, sondern auch die Erstligazugehörigkeit von Hertha BSC. „Ganz Berlin steht hinter Hertha“, hatte der Regierende Bürgermeister bereits am Sonnabend verkündet und dafür die Mitgliedsnummer 50 beim Traditionsclub erhalten. Trotzdem ging das anschließende Spiel gegen Werder Bremen mit 0:4 verloren. Jetzt droht der Abstieg – doch dagegen wehrt sich der Senat mit einer neuen Hauptstadtclub-Debatte.

„Es kann nicht angehen, dass die Hauptstadt keinen Club in der ersten Liga hat“, heißt es aus der Senatskanzlei. „So etwas wäre in anderen europäischen Ländern nicht denkbar.“ In der Tat: Eine interne Aufstellung von Sportsenator Klaus Böger (SPD) weist aus: In der englischen Premier League spielen mit Arsenal, Chelsea, Fulham F. C. und Tottenham Hotspurs gleich vier Clubs aus London. Russland kommt ebenfalls auf vier Clubs aus Moskau. Spanien und Italien liegen mit je zwei Hauptstadtvereinen im Mittelfeld. Zusammenfassung der Böger-Verwaltung: „Ein Club in der ersten Liga ist die absolute Mindestausstattung einer Hauptstadt.“

Wowereit macht dies zum Argument: „Wenn Berlin Hauptstadt des föderalen Deutschlands sein soll, muss es auch in die Lage versetzt werden, Hauptstadtfunktionen zu erfüllen: Dazu gehört auch ein Verein in der ersten Liga. Ein Abstieg von Hertha BSC ist daher aus politischen Gründen ausgeschlossen.“ Nach WowereitsVorschlag (siehe Dokumentation) soll der Artikel 22 des Grundgesetzes nicht nur, wie bisher bekannt, um einen Hauptstadtpassus, sondern auch um einen Hauptstadtclubpassus ergänzt werden. Er hieße dann: „Die Bundesflagge ist schwarz-rot-gold. Bundeshauptstadt […] ist Berlin. Hertha BSC Berlin spielt in der ersten Bundesliga. Die Kosten dafür übernimmt im Zweifelsfall der Bund.“

Volle Rückendeckung für die geplante Verfassungsänderung gibt es beim Koalitionspartner PDS. „Leider hat Klaus Wowereit vergessen, uns vorab über seinen Vorstoß zu informieren“, erklärte Parteichef Stefan Liebich: „Das macht aber nichts: Wir sind in jedem Fall dabei.“ Auch beim Fußball seien Errungenschaften aus der DDR viel zu schnell abgebaut worden, so Liebich: „Damals war BFC Dynamo nicht nur automatisch in der 1. Liga, sondern wurde sogar automatisch Meister.“

Kritik an Wowereits Vorstoß kam hingegen von der CDU. „Wowereit hat viel zu lange zur Hertha geschwiegen“, erklärte Fraktionschef Nicolas Zimmer: „Er hat die Hauptstadtclub-Debatte verschlafen.“ Nun verfalle der Senat in hektischen Aktionismus. „Man muss nicht gleich das Grundgesetz ändern“, meint Zimmer. Die CDU-Fraktion schlägt stattdessen ein Ausführungsgesetz vor, das der Bundesrat mit einfacher Mehrheit beschließen könnte: „§ 1. Hertha BSC Berlin steigt nicht aus der Bundesliga ab. § 2. Steigt Hertha BSC Berlin doch ab, tritt § 1 in Kraft.“ Auch FDP-Fraktionschef Martin Lindner kritisiert die mangelnde Wirtschaftsförderung des rot-roten Senats: „Investoren muss man die Schuhe putzen. Notfalls auch die Fußballschuhe.“ Die Grünen schimpfen: „Das teuer sanierte Olympiastadion wird fertig, und wir werden keinen Erstligaverein mehr haben. Eine klassische Bauruine von Stadtentwicklungssenator Peter Strieder.“

Auch außerhalb Berlins sieht man den Vorschlag kritisch: „Wowereit soll den Ball flach halten: Der Bonner SC hat auch immer nur in der zweiten Liga gespielt“, erinnerte Hessens Ministerpräsident Roland Koch. „Bald sollen wir wohl im Rahmen des Länderfinanzausgleiches den FC. St. Pauli überweisen?“, ereiferte sich Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust. Schlimm: Ausgerechnet Wowereits eigener Finanzsenator fällt dem Regierenden in den Rücken. „Hertha hat 28 Spieler im Kader“, rechnet Thilo Sarrazin vor: „Es spielen aber immer nur elf: eine klassische Überausstattung.“ Sarrazin meint, Berlin müsse sich entscheiden: „Erste Liga oder Marcelinho – beides zusammen können wir uns einfach nicht mehr leisten.“