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irak/kurdistanSpekulationen unter Schock

Noch weiß man nicht genau, wie viele Tote es waren, aber schon jetzt ist sicher, dass die beiden Selbstmordattentate im kurdischen Arbil zu den schlimmsten Anschlägen seit dem Ende des Kriegs im Irak gehören. Die kurdische Region des Nordirak, bislang ein sicherer Hafen, verglichen mit dem Rest des Landes, steht unter Schock.

KOMMENTAR VON JÜRGEN GOTTSCHLICH

Wer war das? Hosni Sabahri, Außenminister im provisorischen irakischen Regierungsrat und vorher Sprecher der Demokratischen Partei Kurdistans – einer der beiden betroffenen Organisationen –, vermutet die islamischen Fundamentalisten der Ansar al-Islam hinter den beiden Anschlägen. Das ist nur eine Annahme, für die es allerdings plausible Gründe gibt.

Ansar al-Islam ist eine kurdische Gruppe islamischer Fanatiker, die vor dem Krieg ein kleines Gebiet unmittelbar an der iranischen Grenze kontrollierte und sich im andauernden Kleinkrieg mit kurdischen Soldaten befand; sie wurde nach Kriegsbeginn mit Hilfe amerikanischer Bomber vertrieben. Wie eng sie mit al-Qaida verbandelt ist, blieb seither unklar. Die Attentate passen allerdings in das Raster der bisherigen Al-Qaida-Anschläge. Es trifft die Kurden, die engsten Verbündeten der USA im Irak, und damit die Besatzungstruppen gleich mit. Dass die Attentate zu Beginn des Opferfests, des höchsten islamischen Feiertags, begangen wurden, spricht nicht gegen die Islamisten. Sie haben andernorts – etwa bei den Anschlägen in Istanbul – schon gezeigt, dass Muslime als Ziele für sie nicht tabu sind.

Rivalitäten zwischen den beiden großen kurdischen Parteien, die sich in der Vergangenheit auch schon militärisch bekämpft haben, fallen jetzt als Erklärung aus, da beide Hauptquartiere in parallelen Attentaten getroffen wurden. Für andere kurdische Attentäter spricht, dass es ihnen gelang, sich unter die Feiertagsgäste zu mischen – arabischsprachigen Saddam-Loyalisten hätte dies Probleme bereitet.

Die politische Reaktion der Kurden dürfte nun wohl sein, sich reflexartig abzuschotten und noch mehr auf die vollständige Kontrolle ihrer Gebiete zu setzen – ausgerechnet während irakische und kurdische Politiker in Bagdad über Föderation und Autonomie sowie über wechselseitige Gebietsansprüche verhandeln. In dieser Situation wirken die Attentate wie Gift. Sie zerstören das Vertrauen in die Zukunft des Irak – weshalb sie vermutlich auch verübt worden sind.

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