: Die Kriegsfestung New York
ABC-Panzer am Times Square, Straßensperren vor Brücken und Tunneln – die Sicherheitsoperation „Atlas“ kostet pro Woche fünf Millionen Dollar
aus New York KIRSTEN GRIESHABER
Breitbeinig und mit verschränkten Armen stehen die vier uniformierten Männer in der U-Bahn-Haltestelle an der 125. Straße in Manhattan, mitten im Zentrum von Harlem. Über ihren Schultern hängen Maschinengewehre, von den Gürteln baumeln Gasmasken, misstrauisch mustern sie sämtliche Fahrgäste, die die U-Bahn-Station betreten.
Mit Beginn des amerikanischen Luftangriffs auf Bagdad hat sich New York City in eine Kriegsfestung verwandelt. Aus Angst vor Terroranschlägen und Racheakten als Reaktion auf den Irakkrieg hat Bürgermeister Michael Bloomberg die bislang striktesten Sicherheitsvorkehrungen in der Geschichte der Stadt New York angeordnet.
Hunderte schwer bewaffnete Soldaten der US-Nationalgarde und Polizisten halten in den U-Bahn-Haltestellen von New York Ausschau nach Verdächtigen. Aus Angst vor möglichen Giftgasangriffen sind die Sicherheitskräfte mit Gasmasken ausgerüstet, oft werden sie von Spürhunden begleitet, die nach Sprengstoff schnüffeln. Die Überwachung des öffentlichen Personennahverkehrs ist nur eine von vielen Maßnahmen des umfangreichen Präventionsprogramms gegen den Terror, das unter dem Namen „Operation Atlas“ läuft und die Stadt jede Woche fünf Millionen Dollar kostet.
An allen Zubringerbrücken und Tunneln, die nach Manhattan führen, sind Straßensperren erichtet. Auch auf den Hauptverkehrsstraßen zwischen Uptown und Downtown Manhattan werden Lastwagen und Kleintransporter angehalten und durchsucht. Unablässig kreisen Hubschrauber über der Stadt, Polizeiboote patrouillieren Tag und Nacht in den Häfen von New York, und an den Flughäfen gilt ebenfalls erhöhte Alarmbereitschaft. In den Schulen müssen die Kinder an Evakuierungsübungen teilnehmen, die städtischen Krankenhäuser haben sich mit Impfstoffen gegen Bioattacken eingedeckt.
Die Stimmung ist angespannt. Die Mehrheit der New Yorker scheint davon überzeugt zu sein, dass ihre Stadt früher oder später wieder angegriffen wird. 18 Monate nachdem Terroristen das World Trade Center zerstörten und etwa 2.800 Menschen mit sich in den Tod rissen, sind die Wunden des 11. September längst nicht verheilt und viele New Yorker machen aus ihrer Angst vor neuen Anschlägen keinen Hehl.
Geschürt wird die allgegenwärtige Nervösität durch die reißerischen Beiträge der lokalen Fernsehsender. Rund um die Uhr berichten TV-Reporter von potenziellen Angriffszielen, zeigen Livebilder von den ABC-Panzern am Times Square und malen detailgenau mögliche Horrorszenarien eines Nuklear- oder Milzbrandangriffs auf New York aus.
Auch wenn die Politiker immer wieder verkünden, dass sie bislang keine konkreten Hinweise über bevorstehende Terroranschläge hätten, machen auch sie einen besorgten Eindruck. Der Gouverneur des Bundesstaates New York, George Pataki, rief die Bevölkerung zur Ruhe auf, doch gleichzeitig warnte er: „Spätestens seit dem 11. September wissen wir, dass New York eines der herausstehenden Symbole für Amerika ist. Und deswegen bieten natürlich gerade wir ein mögliches Angriffsziel.“
Viele New Yorker sind auch deshalb so verängstigt, weil sie wissen, dass eine lückenlose Überwachung der Millionenstadt unmöglich ist. Menschen aus aller Welt leben und arbeiten in New York, Rasterfahndungen nach verdächtigen Personengruppen sind – ganz abgesehen von rechtlichen und ethischen Vorbehalten – vom personellen und logistischen Aufwand her nicht möglich.
Die Furcht vor Terrorangriffen ist nicht das einzige Problem, das die New Yorker zurzeit beschäftigt. Hinzu kommt, dass die Stadt pleite ist und Bürgermeister Bloomberg deswegen erst vergangene Woche nach Washington D.C. reiste, um Präsident Bush und Tom Ridge, den zuständigen Minister für Innere Sicherheit, um zusätzliche Gelder für die teuren New Yorker Schutzmaßnahmen während des Krieges zu bitten.
Trotz aller Sorgen bemühen sich die meisten New Yorker, weiterhin ihren Alltagsgeschäften nachzugehen und sich nicht zu Hause zu verkriechen. Bürgermeister Bloomberg ging vor ein paar Tagen mit gutem Beispiel voran. Begleitet von einem Tross von Kamerateams und Journalisten fuhr er mit der U-Bahn zu einem Basketballspiel der New York Knicks im Madison Square Garden und erzählte unterwegs, dass er auch in den nächsten Tagen Restaurants und Broadway-Shows besuchen werde: „Sicher, es ist Krieg und wir müssen vorsichtiger sein als sonst. Aber das heißt nicht, dass wir völlig aufhören sollten zu leben. Denn dann haben die Terroristen gewonnen.“
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