: Mobilitätspass macht immobil
Mit dem neuen „Mobilitätspass“ bekommen sozial Schwache in Köln kaum noch KVB-Ermäßigung. Bevor Kritik daran zu laut wird, will die Koalition mit 1,5 Millionen Euro Subventionen nachbessern
Von Susanne Gannott
Walter Herrmann ist sauer: Seit dem 1. Februar sind die öffentlichen Verkehrsmittel in Köln für sozial Schwache wie ihn deutlich teurer geworden. Bislang konnten die Inhaber eines Familienpasses diverse KVB-Fahrkarten mit 50 Prozent Ermäßigung kaufen. Seit Sonntag heißt nun der Familienpass „Mobilitätspass“. Ermäßigt wird damit jedoch nur noch das 9-Uhr-Umweltticket, das jetzt „Formel 9 Ticket“ heißt – und der Rabatt beträgt nur noch 18 Prozent. Mobilitätspass-Besitzer zahlen für die Monatskarte 34,50 Euro, die normalerweise 41 Euro kostet. Das aber kann Herrmann sich nicht mehr leisten, schreibt er in einem bitterbösen Brief an Oberbürgermeister Schramma, weil auch andere Belastungen wie die „Eintrittsgebühr“ beim Arzt dazu gekommen seien. „Die Miesen in den öffentlichen Kassen“ seien jedoch „kein hinreichender Grund für die immer neuen Angriffe auf den Lebensstandard der unteren Schichten.“
Sozialer Ausschluss
Thomas Münch vom Kölner Arbeitslosenzentrum kann Herrmanns Protest gut verstehen: „In unser Büro kommen in den letzten Tagen zahlreiche Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger, die fragen: ‚Was soll das denn?‘“ Denn die neue Regelung für den „Mobilitätspass“ sei „keine Mobilitätserleichterung für Arme“, die jetzt für Einzelfahrkarten und 4er-Tickets genauso viel zahlen müssen wie Leute mit Geld. De facto bedeute dies für arme Menschen sogar eine Einschränkung ihrer Mobilität und damit ihren „sozialen Ausschluss“, urteilt Münch. Er hält daher eine Nachbesserung für „unabdingbar“.
Dass sieht inzwischen offenbar auch die schwarz-grüne Koalition ein. Laut Ossi Helling, dem grünen Sozialexperten im Rat, wird gerade diskutiert, ob man die Ermäßigung von Einzel- und 4er-Tickets in diesem Jahr nicht doch mit 1,5 Millionen Euro subventionieren sollte. Auch wenn die CDU hier noch Probleme sehe, gäbe es „Bestrebungen, dass es zu dieser Lösung kommt“, sagte Helling der taz, weil sonst die Betroffenen „komplett verarscht“ werden. Eine Entscheidung dazu werde „in den kommenden Tagen“ fallen.
Damit wären freilich die Sparbeschlüsse der Koalition vom vergangenen Juli in diesem Punkt zu einem Gutteil obsolet: Rund 2,6 Millionen Euro wollte man einsparen mit dem Auslaufen der Subventionen für die ermäßigten KVB-Preise zum 1. Februar 2004. Die jetzt diskutierte Nachbesserung könne daher nur „eine Zwischenlösung“ sein, betont Helling: Für die Zeit danach müsse zusammen mit den Verkehrsbetrieben nach anderen Möglichkeiten gesucht werden.
Bei der KVB verteidigt man unterdessen die neue Preisgestaltung: Man habe ausgerechnet, mit welchen Einbußen zu rechnen sei, wenn die ehemaligen Familienpass-Inhaber als Kunden verloren gingen. „Auf Basis dieser Kalkulation von rund 1,5 Millionen Euro geringere Einnahmen haben wir dann die neue Ermäßigung für das Formel-9-Ticket errechnet“, erklärt KVB-Pressesprecher Joachim Berger der taz. Eine Ermäßigung auf andere Tickets wie Einzel- und 4er-Fahrscheine hätte dagegen zu hohe Verwaltungskosten für dem Betrieb verursacht, der vor allem „auf seine Bilanz“ achten müsse. Schließlich habe „die KVB keinen Auftrag für Sozialleistungen“. Wenn allerdings die Stadt die Ermäßigung dieser Tickets wieder subventioniere, sei das etwas anderes, „aber das wollen wir erst einmal abwarten“, gibt sich Berger skeptisch.
„Ersatz-Fahrausweis“
Walter Herrmann wird in der Zwischenzeit weiter schwarz fahren, weil ihm das Formel-9-Ticket zu teuer ist. Das heißt, ein richtiger Schwarzfahrer ist er nicht, wie er in seinem Brief an Schramma erklärt: Er werde ab sofort den alten Preis für die Umweltkarte, 22,50 Euro, zurücklegen und am Quartalsende „in ihrem Büro“ abgeben. Eine Kopie des Briefes habe er fortan immer dabei als „Ersatz-Fahrausweis“ für die Kontrolleure. Und komme es dennoch irgendwann zu einer Anzeige wegen „Beförderungserschleichung“, freue er sich schon auf die Gerichtsverhandlung: „Eine gute Gelegenheit Bilanz zu ziehen über die immer neuen Zumutungen einer Politik der Sozialdemontage“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen