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Das globale Dorf und seine Gerüche

Der Special-Interest-Wahn bei den Zeitschriften hält an. Jetzt hat es die schreibende Zunft selbst erwischt: Ein österreichischer Verlag gibt ein Fachblatt für Agrarjournalisten heraus. Gedanken über linke Bauern, grüne Ministerinnen und Treckerabgase

von HELMUT HÖGE

Die Durchsetzung eines „Global Village“ ist zwar an sozusagen handfesten Investitionen festzumachen, jedoch durch und durch ein Abstraktionsvorgang.

Gleichzeitig werden komischerweise die Special-Interest-Medien immer konkretistischer. So hat sich beispielsweise die Frauenpresse sowohl internationalisiert als auch ausdifferenziert: Es gibt inzwischen Zeitschriften für junge Frauen ohne Abitur, für reife Intellektuelle, für Blonde, für Verheiratete mit eigenem Garten, für ältere Frauen, die an Adels-Eheproblemen Anteil nehmen, für junge Tatoo-Interessierte, für Sportswearträgerinnen usw.

Eine ähnliche Diversifizierung versucht jetzt ein Verleger in Österreich mit den Journalisten als Zielgruppe, indem er eine Zeitschrift nach der anderen herausgibt – für Wirtschaftsjournalisten, Kulturjournalisten, Reisejournalisten, Umweltjournalisten, Medizinjournalisten, Autojournalisten, österreichische Journalisten, IT-Journalisten usw. Ich bestellte mir bei ihm neulich die erste Nummer des „Magazins für Agrar- und Ernährungsjournalisten“. Das interessierte mich deswegen, weil die Bauern immer weniger werden, aber die Agrarjournalisten gleichzeitig immer mehr.

Und das ist doch wohl ein typisches Phänomen des globalen Dorfes: Die Realität wird vernichtet und gleichzeitig in den Medien „aufgehoben“. Die Frankfurter Rundschau sprach in einer Rezension von „Schweinejournalismus“, denn „das klassische Arbeitsfeld der Agrarjournalisten wird kleiner […] andererseits werden geldwerte Informationen für zukunftsfähige Unternehmen immer wichtiger“. Für die anschwellende Zahl von Agrarjournalisten gibt es auch schon eigene Berufsverbände. Und der „typische Agrarjournalist“ hat heute „sowohl Gummistiefel im Keller stehen als auch eine Krawatte im Schrank“. Bei „ganz besonderen Gelegenheiten ziehen wir beides gleichzeitig an“, schreibt der Agrarjournalist Thomas Preuße.

Neben den der Großindustrie von rechts oben verpflichteten etwa 30 Agrarzeitschriften im deutschsprachigen Raum gibt es von links unten auch noch für die bäuerlichen Kleinbetriebe die österreichische Jungbauern-Zeitschrift Mist sowie die den altlinken Bauern verpflichtete deutsche Bauernstimme, die ich immer wieder gerne lese, denn sie wurde u. a. von dem Ostfriesenkämpfer Onno Poppinga gegründet, der einmal ein Buch mit dem Untertitel „Power to the Bauer“ verfasste. Auf der diesjährigen „Grünen Woche“ in Berlin hoffte ich einen Vortrag von ihm – über die Lage der landwirtschaftlich arbeitenden Klasse im neuen Deutschland – zu hören: in der Halle der Landwirtschaftsministerin Künast, die absurderweise auch und zugleich noch Verbraucherministerin ist. Mit einigen Freunden zusammen hatte ich in derselben Halle einen „Abend des polnischen Agrarfilms“ organisiert, sowie eine musik- und lichtbildgestützte Lesung über den „polnischen Wurstmenschen“ mit dem Club der polnischen Versager. Statt Onno Poppingas Vortrag gab es aber nur eine Talkshow mit und über eine Berliner Familie, die monatelang fürs Fernsehen eine Bauernfamilie auf einem Schwarzwaldhof des 19. Jahrhunderts in Echtzeit simuliert hatte. Sie wurde von der Ministerin Künast freudig begrüßt, mich zog es jedoch enttäuscht in eine der Landmaschinenhallen, wo ich dann immerhin den neuen 310-PS-Traktor „930 Vario TMS“ der westdeutschen Edeltraktorfirma Fendt entdeckte.

TMS steht für „Traktor Management System“. Das interessierte mich aber weniger als die Auspuffgase des neuen Fendt-„Flaggschiffs“. Meine ganze landwirtschaftliche Leidenschaft resultiert nämlich daraus, dass ich gerne den Geruch laufender Trecker schnüffel. Ich hatte nicht nur immer mal wieder eigene (gebrauchte) Traktoren, sondern sogar auch mal einen Hund, der süchtig nach Treckerabgasen war: Er lief so lange hinter deren Auspuffrohren her, bis er beseligt ohnmächtig wurde. Das ging natürlich nur bei Trakoren, die ihre Auspuffgase nach unten und hinten abführten.

So schlimm wie bei dem Hund war es bei mir übrigens nicht. Dafür fand ich im Internet neulich eine Webpage für das Special Interest „Treckerauspuffschnüffeln“ sowie eine für „Dieselverbrennungsmotorenlover“ ganz allgemein.

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