: Mehr als Kabale und Hiebe
Vom Frisör in Mallorca bis zum Ingenieur in den Arabischen Emiraten: Die Zentralstelle für Arbeitsvermittlung der Bundesagentur für Arbeit verzeichnet bei der Nachfrage nach Auslandsjobs eine steigende Tendenz. Nur Eigenbrötler, die ihre Ruhe haben wollen, haben es schwer
In den letzten Wochen ist die Bundesagentur für Arbeit vor allem mit Kabale und (entzogener) Liebe in Verbindung gebracht worden. Ihr Chef wurde fristlos gefeuert, eifrige Marktwirtschaftler aus der FDP, die gerade noch kräftig mit ihrer Beratungsfirma am Umbau der Mammutbehörde zum modernen Dienstleister verdient haben, fordern sogar ihre Abschaffung. Fast gerät aus dem Blick, dass die Mitarbeiter täglich das erledigen, wofür sie eigentlich da sind: Arbeitslose in Jobs zu vermitteln. Nicht nur auf den deutschen Arbeitsmarkt, sondern zunehmend auch ins Ausland.
80.000 Anfragen 2003
Eine „steigende Tendenz“ bei der Nachfrage nach Auslandsjobs sieht Sabine Seidler, Sprecherin der Zentralstelle für Arbeitsvermittlung (ZAV) in Bonn, die Fach- und Führungspersonal in die ganze Welt vermittelt oder auf einen Auslandsaufenthalt vorbereitet. 80.000 Interessierte hätten im vergangenen Jahr Kontakt mit der ZAV aufgenommen, um die Chancen für einen Auslandsjob auszuloten. Den Koffer gepackt und in Richtung Ausland aufgebrochen sind dann rund 3.600 Fachkräfte, von denen 600 aus dem Gastronomiebereich kamen. „Im letzten Jahr waren besonders Handwerker in Österreich gefragt“, so die Sprecherin. Mehr als 1.200 Baufachleute hätten in der Alpenrepublik eine Anstellung gefunden. Grundsätzlich werde aber „quer durch alle Berufe“ vermittelt: „Vom Frisör, der nach Mallorca geht, bis zum Ingenieur, der eine Anstellung in den Arabischen Emiraten findet, ist alles dabei.“
Gute Karten, dem englischen Gesundheitswesen auf die Sprünge zu helfen, haben gerade Fach- und Hausärzte. Denn Mediziner, die sich zum Beispiel auf die Behandlung von Krebs, Herz- oder Geisteskrankheiten spezialisiert haben, werden auf der Insel gesucht. Norwegische Zahnkliniken werben Zahnärzte über die ZAV mit „gut dotierten und unbefristeten Stellen“, die neben den guten Arbeitsbedingungen auch einen Zugang zu „reizvoller Natur“ bieten. Vorbereitet werden Interessierte in einem kostenlosen zwölfwöchigen Sprachkurs. Während des Kurses gibt es von der norwegischen Arbeitsverwaltung finanzielle Unterstützung. Zudem werden ein Jahreseinkommen von mindestens 45.000 Euro, bezahlte Überstunden sowie Hilfestellungen bei der Suche nach einer Wohnung oder einem Kindergartenplatz garantiert. Verglichen mit den Arbeitsbedingungen deutscher Krankenhausärzte, dürfte wohl auch die 37,5-Stunden-Woche geradezu traumhaft anmuten.
Junge nach Kanada
Besonders an junge Berufstätige richtet sich das „Young Workers Exchange Program“ (YWEP), das ebenfalls über die ZAV durchgeführt wird. Vor allem jungen Berufstätigen oder Hochschulabsolventen soll ermöglicht werden, sich in Kanada beruflich weiterzubilden und Sprachkenntnisse zu vertiefen. Seit rund achtzehn Jahren organisiert die ZAV zusammen mit dem Land Berlin und einer Stiftung ein Austauschprogramm, durch das deutsche Lehrer Berufserfahrung an öffentlichen Schulen in den USA erwerben können. Bei einem Gegenbesuch können sich die Kollegen aus den USA mit den Höhen und Tiefen des deutschen Schulsystem vertraut machen.
Während die ZAV bei der Arbeitsvermittlung Europa und den Rest der Welt im Blick hat, konzentriert sich das Netz der Europäischen Arbeitsverwaltungen (Eures) auf die Arbeitsvermittlung innerhalb Europas. Was in den hitzigen Debatten der Tagespolitik fast unmöglich scheint, funktioniert bei Eures: Die öffentlichen Arbeitsverwaltungen, Gewerkschaften und Arbeitgeberorganisationen arbeiten zusammen, weil sie gemeinsame Interessen haben. Koordiniert wird die Partnerschaft von der Europäischen Kommission. Die Arbeitsberater von Eures sitzen in der Regel in den regionalen Arbeitsämtern. Sie informieren Arbeitnehmer über Arbeitsmöglichkeiten, Lebens- und Arbeitsbedingungen in Europa und helfen bei der Jobsuche.
„Bevor sie eine Arbeit im Ausland aufnehmen, sollten sich Interessierte gut über das berufliche Umfeld im Ausland, die Arbeits- und Lebensbedingungen informieren“, sagt Ilona Jandzims, Eures-Beraterin für Mecklenburg-Vorpommern. Im persönlichen Gespräch berät sie wie bundesweit rund 50 Kollegen Auslandsinteressierte.
Neben der beruflichen Qualifikation und ausreichenden Sprachkenntnissen seien vor allem soft skills gefragt: Die Fähigkeit zur Anpassung an bestehende Teamstrukturen, Offenheit für andere Kulturen und die Bereitschaft, „sich auf neue Situationen einzulassen“, seien unerlässlich. „Eigenbrötler, die vor allem ihre Ruhe haben wollen, haben es schwer“, weiß die Eures-Beraterin, die für das gesamte Bundesland Mecklenburg-Vorpommern zuständig ist. Arbeiten im Ausland stelle für viele eine „wirkliche Alternative zur Arbeitslosigkeit“ dar. Immerhin liegt die Arbeitslosenquote in Ostdeutschland bei rund 18 Prozent.
Pendeln im Trend
Bis zu 400 Anfragen gehen nach Schätzungen der Beraterin monatlich ein. Immer häufiger gebe es auch „Arbeitspendler“, die während der Woche im europäischen Ausland Geld verdienen, am Wochenende aber wieder bei der Familie am heimischen Küchentisch sitzen. Ein angenehmer Nebeneffekt dieser Mühe: Auslandserfahrungen erhöhen in der der Regel auch die Chancen auf dem heimischen Arbeitsmarkt. FABIAN ZAMORRA
Infos unter www.arbeitsagentur.de
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen