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Nur die Katze bleibt

Im neuen Diepensee soll es keine Ruinen mehr geben und endlich Häuser mit richtiger Heizung. Ein ganzes Dorf muss vor dem geplanten Großflughafen in Schönefeld weichen und zieht zehn Kilometer um. Einigen geht es sogar nicht schnell genug

von SUSANNE KLINGNER

Genau an dieser Stelle wird bald ihr neues Zuhause sein. Ute Krüger nimmt den Spaten in die Hand, setzt an und tritt mit dem Fuß kräftig auf die Kante. Sie macht symbolisch den ersten Spatenstich für ihr Haus im neuen Dorf Diepensee. Das alte Diepensee soll in ein paar Jahren unter zwei Start- und Landebahnen des Flughafens Schönefeld vergraben sein. Ein ganzes Dorf zieht um.

Das alte Dorf Diepensee ist 655 Jahre alt geworden. Gut 300 Menschen leben jetzt noch in diesem Ort, dessen Grenzen nicht einfach durch ein Ortseingangs- und ein Ortsausgangsschild umrissen werden. Die Grenze ist hier ein Zaun, hinter dem der Flughafen Schönefeld liegt. Vor sieben Jahren, 1996, haben sich die Diepenseer entschlossen, dem Druck des Flughafen Schönefelds nachzugeben. Im Juni 1999 schlossen dann Flughafen-Gesellschafter, Brandenburg und die Bundesrepublik Deutschland den Diepensee-Vertrag mit der Gemeinde. Mit ihm stand fest: Das Dorf zieht um, egal, ob der Flughafen Schönefeld ausgebaut wird oder nicht. Gute 80 Millionen Euro wird das Vorhaben kosten. Ein halbes Jahr später schauten sich die Bewohner von Diepensee das erste Mal auf dem Acker neben Deutsch Wusterhausen um. Hier sollten sie also in zwei Jahren wohnen.

Ein paar Minuten vor Ute Krüger hat Diepensees Bürgermeister Michael Pilz den offiziellen ersten Spatenstich in die noch namenlose Erde nördlich von Deutsch Wusterhausen gemacht. Damit beginnt der Bau von Mehrfamilienhäusern mit 78 Wohnungen. Einfamilienhäuser sind schon länger in Planung. Eines am Rand von Deutsch Wusterhausen ist schon fast fertig. Insgesamt wird die Siedlung 35 Gebäude groß werden. Neben Pilz spateln noch Vertreter der Dorfgemeinschaft, der Baugesellschaft, des Landes und des Flughafens. Im Hintergrund fahren die ersten Bagger vorbei. Michael Pilz hat einen Kinderspaten erwischt. Darüber lachen jetzt „seine“ Bürger. Einer ruft ihm zu: „Wenn du schon dabei bist, kannste auch gleich meinen neuen Garten umgraben!“ Alle lachen, das hier ist eine Gemeinschaft. Jeder kennt jeden, und jeder will wieder mit den anderen zusammenwohnen. Alle ziehen gemeinsam um. Michael Pilz wird auch weiterhin der Bürgermeister bleiben. Weiterhin ehrenamtlich, für die nächsten beiden Wahlperioden, wenn ihn die Diepenseer wählen. So lange wird das Dorf auch einen eigenen Etat verwalten, danach wird es Deutsch Wusterhausen angegliedert, einem Stadtteil von Königs Wusterhausen.

Pilz ist 43 Jahre alt und lebt mehr als die Hälfte seines Lebens, nämlich seit 24 Jahren, in Diepensee. Er will, dass die Dorfgemeinschaft erhalten bleibt: „Ich bin zuversichtlich. Wir bekommen ein schönes Gemeindehaus, eine Kindertagesstätte, einen Bolzplatz und eine Feuerwehr.“ Das gab es vorher auch alles. Die Diepenseer Feuerwehr ist 95 Jahre alt.

Ute Krüger steht am Ort ihres künftigen Zuhause, das bis Weihnachten gebaut sein soll. Das versprach der Bauherr vor einer halben Stunde im kleinen Festzelt. „Ich bin mir noch nicht so sicher, dass wir zum Jahresende schon hier wohnen“, sagt sie. „Wir sollten auch schon das letzte Weihnachten im neuen Dorf feiern. Die versprechen viel und dann verzögert sich doch wieder alles.“ Sie ist skeptisch, aber sie freut sich auf die Doppelhaushälfte. „Im alten Haus sind die Dielen durchgefault. Und wir heizen immer noch mit Kohlen.“ Im neuen Haus wird sie endlich Fernwärme haben, mit 59, nach 29 Jahren Ofenheizung. Und die Aufteilung der Räume konnten sie und ihr Mann selbst bestimmen. In sechs Workshops haben alle Diepenseer ihre neuen Heime entworfen. Jetzt wartet Ute Krüger darauf, „dass alles auch so wird“.

Während sie in der Wüste nördlich von Deutsch Wusterhausen vom neuen Haus träumt und gleichzeitig zweifelt, steht ihr Mann, Alfons Krüger, zehn Kilometer weiter vor dem alten Haus in Diepensee und denkt über die zwei herrenlosen Katzen nach, die sich auf der Bank vor seinem Haus sonnen. „Die werden wohl hier bleiben“, sagt Alfons Krüger. „Um die kümmert sich doch keiner. Wir haben selbst zwei Katzen, was sollen wir die auch noch mitnehmen?“ Auch er freut sich auf das neue Haus, aber der Umzug wird nicht nur Vorteile bringen. „Jetzt haben wir 110 Quadratmeter, dann sind es nur noch 65“, sagt Alfons Krüger. „Daran muss man sich erst mal gewöhnen.“ Am Anfang wurde ihnen versprochen, dass sie genau den gleichen Wohnraum wie jetzt bekommen würden. Mit der Zeit sei es aber immer weniger geworden. „Überhaupt wird es viel enger. Im ganzen Dorf“, sagt Krüger. Jetzt wohnt der nächste Nachbar, Siegfried Gattke, am anderen Ende der Straße, fünf Häuser weiter, auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Im neuen Diepensee werden sich die Ehepaare Krüger und Gattke ein Doppelhaus teilen. Die beiden Männer freuen sich trotz Enge darauf. Sie sind Freunde, Krüger, 62, wohnt seit 1971 hier, Gattke, 63, zog 1988 nach Diepensee. Während sie plaudernd vor Krügers Haus stehen, träumen sie von einem großen Garten. Obstbäume werden sie pflanzen und ein paar Hecken. „Das ist so Vorschrift“, sagt Siegfried Gattke. Ansonsten machen sie noch keine Pläne für den großen Garten.

Im neuen Dorf wird alles neu riechen und aussehen und es wird keine verlassenen Häuser geben wie jetzt in der Straße von Krügers und Gattkes, in der sie die letzten Mieter sind. Hier nehmen Wände voneinander Abschied und geben der Schwerkraft einfach nach. Hier gibt es viele Ruinen. Wenn Siegfried Gattke zu Alfons Krüger geht, kommt er am ehemaligen Konsum vorbei, im Haus daneben war mal eine Blumenhandlung. Dahinter zerfallen Gewächshäuser, eine Birke ist durch ein Gerüst hindurchgewachsen und deshalb ganz verkrüppelt. Den Boden des Gewächshauses hat sich grüner Efeu erobert.

Im neuen Dorf werden die Häuser freundlich beeinander stehen, die Straße wird gefegt sein und die Menschen glücklich die Hauptstraße entlangschlendern. So sieht es zumindest auf dem Entwurf der Bauherren aus. Er hängt als großes Plakat neben Ute Krüger und verspricht die goldene Zukunft.

Ute Krüger wünscht sich vom neuen Ort einfach nur, dass er ihr eine neue Arbeit bringt. Jetzt arbeitet sie für den Kindergarten, aber nur als Vertretung. „Vielleicht ergibt sich was Neues im Dorf. Oder ich finde eine Arbeit in Königs Wusterhausen“, sagt sie und geht zu den anderen Dorfbewohnern am Festzelt. Die bleiben noch eine ganze Weile stehen und reden.

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