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Flüchtige Begegnungen an der S-Bahn

Am Sonntag startet die „Transportale“ – 15 Kunstprojekte entlang der S-Bahn-Linie S 2 laden dazu ein, Berlin neu zu er-fahren. Dahinter steckt eine neue Idee von Kunst im öffentlichen Raum. Für Kunstwerke gibt es demnach keine festen örtlichen Bezugspunkte mehr. Statik wird abgelöst von Bewegung

von ANNE RUPRECHT

S 2 in Richtung Buch. Eine junge Frau sitzt am Fenster. Den Kopf an die Scheibe gelehnt, blickt sie hinaus. Alte Fabrikanlagen, Häuserzeilen und Lokschuppen ziehen vorüber. Nur flüchtig können ihre Augen die vorbeifliegenden Orte festhalten.

Eben solchen flüchtigen Begegnungen haben 15 Berliner Künstlerinnen und Künstler im vergangen Jahr nachgespürt. Sie haben Orte entlang der S-Bahn-Strecke erkundet und sie sich künstlerisch zu eigen gemacht. Das Ergebnis: Die „Transportale“ – 15 Kunstprojekte entlang der 47 Kilometer langen Trasse der S 2.

Zwischen Lichtenrade und Buch können Passagiere und Kunstinteressierte ab Sonntag im Vorbeifahren diese Transportale-Kunst erleben. Klanginstallationen auf Bahnsteigen, Lichtspiele unter Brücken, Installationen in Zügen und Aktionen auf Bahnhöfen – so unterschiedlich wie die Orte, die sich die Künstlerinnen und Künstler ausgewählt haben, sind auch ihre Arbeitsweisen.

Dagmar Demming zum Beispiel überrascht Pendler auf dem Bahnsteig in Buch mit eigentümlichen Durchsagen. „Vom Eise befreit sind Strom und Bäche“, klingt Goethes Faust blechern-verzerrt aus den Lautsprechern. Die Wartenden am Bahnhof sind irritiert, blicken kurz auf, bevor sie sich wieder ihrer Zeitung, Zigarette oder Gesprächspartnerin zuwenden.

Wesentlich greifbarer scheint hingegen das Projekt von Inge Mahn und Victor Kégli zu sein, das ebenfalls auf dem Bucher Bahnsteig seinen Platz gefunden hat. Säuberlich umzäunt steht dort eine kleine Laubenidylle mit Hütte, Wasserwanne, Ahorn- und Birkenbäumchen. Doch nicht mehr lange. Stück für Stück wird die Parzelle demontiert, per Schubkarre in der S-Bahn transportiert und auf Bahnhöfen zwischengelagert werden, bevor sie im Zentrum einen neuen Platz findet. Zeitgleich gehen von Lichtenrade im Süden Kastanie und Buche auf die Reise gen Mitte.

Ob der beleuchtete Lokschuppen, der Tarantella-Workshop im Nordbahnhof oder eine überraschende Geräuschkulisse – alle Projekte bieten letztlich eines: eine flüchtige Begegnung. Dahinter steckt eine neue Vorstellung von Kunst im öffentlichen Raum. Katharina Kaiser, Kuratorin von Transportale: „Kunst im öffentlichen Raum – da stellt sich jeder vor: eine richtig schöne Skulptur, ein Denkmal, das an einem festen Ort steht.“

Für die Transportale-Künstlerinnen und Künstler gibt es aber diesen festen räumlichen Bezugspunkt nicht mehr. „Der Raum, der Ort befindet sich in Auflösung.“ An dessen Stelle tritt eine flüchtige Begegnung, ein Eindruck. Statik wird abgelöst von Bewegung. Kaiser: „Öffentlichkeit in Berlin hat keinen festen Platz, sondern muss immer wieder in der Begegnung neu hergestellt werden.“ Die Idee: sich mit der S-Bahn in Bewegung setzen und die Stadt neu er-fahren.

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