piwik no script img

Hinhaltender Widerstand

Bagdad am Tag danach: Vereinzelte Gefechte und Attentate, die Villen der Führungsriege werden geplündert, Krankenhäuser aber auch. Hilfsorganisationen sprechen von einer kritischen Lage

BERLIN taz ■ Plünderer haben in der weitgehend von US-Truppen eingenommenen irakischen Hauptstadt auch vor Krankenhäusern nicht Halt gemacht. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Genf berichtete gestern, das Al-Kindi-Krankenhaus, in dem hunderte Verletzte der jüngsten Bombenangriffe liegen, sei von Plünderern heimgesucht worden. Dringend benötigtes Krankenhauspersonal traue sich nicht mehr, Wohnungen und Häuser zu verlassen und zur Arbeit zu gehen. „Die WHO steht bereit, dringend benötigtes chirurgisches und medizinisches Material nach Bagdad zu liefern. Das geht aber nur, wenn sich die Sicherheitslage bessert“, erklärte ein WHO-Sprecher.

Die US-Soldaten in der Stadt stießen auch gestern noch auf heftigen Widerstand. Bei einem Selbstmordanschlag ist am Donnerstagabend mindestens ein US-Soldat getötet worden. Das teilte die US-Armee mit. Zuvor sei ein Marineinfanterist bei Gefechten mit regierungstreuen Einheiten getötet und dreizehn weitere Soldaten seien verletzt worden, sagte Stabsfeldwebel Jeff Treiber in Bagdad. Ein AFP-Korrespondent berichtete, die Marineinfanteristen würden seit den frühen Morgenstunden von irakischen Kämpfern aus Häusern und Autos, von Dächern herab und unter Brücken hervor beschossen. Am Vortag war ein US-Marineinfanterist in einem Vorort Bagdads erschossen worden.

Die Soldaten besetzten auch eine Moschee am Nordufer des Tigris. Das Gebetshaus habe als Bastion von Anhängern Saddam Husseins gegolten, sagte Major Pete Farnum. Ein Reporter der BBC berichtete, die Soldaten hätten die Moschee durchsucht.

In Bagdad waren gestern fast alle Geschäfte geschlossen, offenbar eine Reaktion auf die Plünderungen des Vortags. Korrespondenten zufolge waren nur wenige Menschen auf den Straßen. Erste Gruppen von Einwohnern, die aus der Stadt geflüchtet waren, kehrten zurück.

Allerdings wurden die verlassenen Villen der irakischen Regierung ebenso leer geräumt wie die deutsche Botschaft und das französische Kulturzentrum. In Al-Sader City, vormals Saddam City, errichteten Einwohner Straßensperren, um Passanten zu kontrollieren, ob sie bei Plünderungen erbeutete Gegenstände mit sich führten. Diese sollen gesammelt und später ihren Eigentümern zurückgegeben werden.

Die Washington Post berichtete, das plötzliche Fehlen der Führungsspitze vom Vortag deute nach US-Geheimdienstkreisen auf einen geplanten Rückzug Saddam Husseins hin. „Plötzlich fand keine Kommunikation mehr statt, und das Regime erschien nicht zur Arbeit.“

Der irakische UN-Botschafter Mohammed al-Duri sollte gestern in New York von UN-Generalsekretär Kofi Annan empfangen werden. Das gaben die Vereinten Nationen kurz vor dem geplanten Gespräch bekannt. Zuvor hatte es stundenlanges Rätselraten über den Verbleib des Diplomaten gegeben. Al-Duri war am Mittwoch (Ortszeit) auf einem New Yorker Flughafen gesichtet worden; anschließend hatte er Tickets für einen Flug von New York nach Damaskus über Paris verfallen lassen. B.S.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen