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Überleben ist alles

„Narben auf meiner Haut“ – eine Fotoausstellung von Straßenkindern aus Kolumbien eröffnet im ver.di-Center

Die Abgebildeten verharren in inszenierten Posen, doch ohne künstliches Pathos. Die Narben, die das Leben auf der Straße, das Überleben zwischen Gewalt, Drogen und Prostitution hinterlassen hat, sind überall sichtbar: in den Gesichtern, der Körperhaltung und auf der Haut. Medizinisch verheilte, seelisch nicht heilbare Wunden, die wie Trophäen hergezeigt werden. Lebensspuren von Straßenkindern aus der kolumbianischen Metropole Medellin.

Das Buch und die gleichnamige, heute im ver.di-Center eröffnende Ausstellung „Narben auf meiner Haut – Straßenkinder fotografieren sich selbst“ legen davon Zeugnis ab. Die kolumbianische Pädagogin Sor Sara Sierra Jaramillo initierte vor knapp drei Jahren gemeinsam mit dem Heidelberger Theologen und Pädagogen Hartwig Weber das Projekt „Patio 13“ in Medellin, eine Schule für Straßenkinder. Als die beiden einigen ihrer Schützlinge vorschlugen, einander zu fotografieren, befürchteten sie, dass die ausgehändigten Einwegkameras an der nächsten Straßenecke für ein paar hundert Pesos verhökert werden würden.

Doch fast alle Apparate kamen – voll geknipst – zurück. Ein Foto von sich selbst zu besitzen bedeutet, einen Beleg der eigenen Existenz in den Händen zu halten. Es verleiht im Angesicht des jederzeit erwarteten Todes dem Augenblick Dauer.

Das durchgängige Thema der Fotos, von denen jetzt knapp 50 im ver.di-Center am Besenbinderhof und ab dem 23. Februar in den benachbarten Ausstellungsräumen der Büchergilde gezeigt werden, ist der Triumph des bloßen Überlebens. Gerade darum gehen die Gedanken weit weg. „Das wäre mein Wunschtraum, auf dem Land zu leben in einem kleinen Dorf, weit weg, in einem kleinen Häuschen“, sagt Marcela in dem Buch.

Den Traum, ein „normales“ Leben nach bürgerlichen Mittelstandsidealen zu führen, vermitteln auch die Bilder. Authentischer als schriftliche Berichte vermögen die Fotos einen unmittelbaren Ausschnitt aus individuellen Welten zu vermitteln – weil die Amateurfotografen sie für sich selbst geschossen haben, ohne Gedanken an ein Publikum außerhalb des eigenen Gesichtsfeldes. Diese Authentizität ist bedrückend – ein Eindruck, der sich verstärkt, wenn man erfährt, das viele der Abgebildeten die zwei Jahre, die seit dem Fotoshooting vergangen sind, nicht überlebt haben.

Beklemmungen aber soll es heute, wenn Hartwig Weber die Ausstellung eröffnen und einen Überblick über die Lage der Straßenkinder in Kolumbien und das Projekt „Patio 13“ geben wird, nicht geben. Dafür wird schon die in Hamburg lebende Soul- und Rockmusikerin Ghee Diakhate sorgen, die den Abend musikalisch begleitet. Marco Carini

Vernissage: heute (18.2.), 19 Uhr, ver.di-Center, Besenbinderhof 56. Karten über Büchergilde, Tel: 246080.

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