piwik no script img

EUROPAWAHL: BERLUSCONI WILL SEIN MANDAT NICHT ANTRETENEine fingierte Spitzenkandidatur

Italiens Bürger haben sich daran gewöhnt, von einem Ministerpräsidenten regiert zu werden, der alles selbst am besten kann – oder der das wenigstens glaubt. Tief im Herzen versteht sich Silvio Berlusconi als One-Man-Show. Da überrascht es kaum noch, dass der Unternehmer, Chef der Regierungspartei Forza Italia und Staatslenker jetzt auch noch als Listenführer bei den Wahlen zum Europäischen Parlament antreten will – dazu noch gleichzeitig in allen vier Großregionen, in die Italien beim EP-Urnengang aufgeteilt ist.

Gewählt wird er sicher. Aber was will der Mann eigentlich im EP? Die Diäten locken den reichsten Mann Italiens nicht. Auch besondere Euro-Leidenschaften muss man Berlusconi nicht unterstellen. Seinen Job als EU-Ratspräsident hat er eher lustlos absolviert, und was er vom EP hielt, zeigte er im Juli letzten Jahres bei seinem Ausfall gegen Martin Schulz, als er die Europaabgeordneten „Touristen der Demokratie“ schmähte.

Berlusconi könnte immerhin geltend machen, dass es alle Parteien in Italien traditionell so halten. In Rom waren es nie die abgehalfterten Polit-Opas, die nach „Europa“ weggelobt wurden. Von rechts bis links traten immer auch die Parteiführer und die zugkräftigsten Gesichter an, und parallel zu ihrem italienischen hielten sie dann ihr europäisches Mandat – auch wenn sie dann in Straßburg selten bis nie gesichtet wurden. Schon diese Übung verrät keine hohe Meinung von den europäischen Institutionen. Berlusconi aber setzt jetzt noch eins drauf. Er will sich zwar wählen lassen – erklärte aber öffentlich, dann das EP-Mandat nicht anzutreten. Er sei eben der „Vorzeigekandidat“, mit dem allein Forza Italia auf ein befriedigendes Wahlergebnis hoffen könne.

Das stimmt. Dank dieser fingierten Spitzenkandidatur kann Forza Italia wie gehabt ganz Italien mit Berlusconi-Konterfeis zukleistern, statt die traurigen Wasserträger aus dem zweiten und dritten Glied vorzeigen zu müssen. Die Wähler werden damit ins Gesicht eines Mannes blicken, der ihnen rundheraus erklärt hat, dass er sie mit seiner Kandidatur übers Ohr haut. MICHAEL BRAUN

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen