„So verheerend wie die Pillen-Enzyklika“

Der Kirchenreformer Christian Weisner schätzt, dass das Papstwort viele Katholiken enttäuscht. Die deutschen Bischöfe sollten protestieren

taz: Herr Weisner, auf das Papier des Papstes ist lange gewartet worden. Sind Sie enttäuscht?

Christian Weisner: Ohne eine endgültige theologische Wertung: Das geht schon gegen den Ökumenischen Kirchentag. Der Papst widerspricht vielem, was nicht nur in Deutschland in der ökumenischen Praxis gefeiert wird und auch gut theologisch begründet ist.

Ist das Wort des Papstes theologisch zweifelhaft?

Es gibt zu denken, dass vor knapp zwei Wochen drei renommierte Ökumene-Institute zu ganz anderen Wertungen kamen: Eucharistische Gastfreundschaft zwischen Katholiken und Protestanten ist demnach trotz bestehender theologischer Unterschiede verantwortbar und oft seelsorgerisch geboten.

Ist der Text in Bezug auf die Ökumene härter als erwartet?

Er schmerzt. Er betont fast nur den Alleinvertretungsanspruch der römischen Kirche.

Das kennt man ja.

Ja, aber seit dem Aufbruch durch die Erklärung zur Rechtfertigungslehre vor vier Jahren haben wir in der Ökumene nur Rückschritte erlebt. Dabei hat sich der Papst sehr um die Ökumene und den interreligiösen Dialog verdient gemacht, kirchengeschichtlich gesehen. Das aber ist wieder ein Rückschritt.

Ist die Enzyklika für die Ökumene ein so harter Schlag wie das Papstpapier „Dominus Iesus“, das den lutherischen Kirchen ihr Kirchesein absprach?

Ich befürchte, dass diese neue Enzyklika in ihrer Wirkung so verheerend sein kann wie „Humanae Vitae“ …

die so genannte Pillen-Enzyklika von Paul VI. 1968 …

… ja. Damals haben die deutschen katholischen Bischöfe eine Erklärung zur Enzyklika veröffentlicht, dass die Gewissensentscheidung der Gläubigen Vorrang haben muss. Die deutschen Bischöfe sollten dies auch heute wieder tun und protestieren.

Welche Folgen hat diese Schrift für den Kirchentag?

Die Enttäuschung der Menschen, die zum Kirchentag fahren, wird dadurch noch größer.

Will Ihre Initiative „Wir sind Kirche“ dennoch mit einer evangelischen Gemeinde in Berlin zu Gottesdiensten am Rande des Ökumenischen Kirchentags einladen, bei der Katholiken und Protestanten jeweils zum Abendmahl der anderen Konfession gehen?

Wir werden daran festhalten. Diese eucharistische Gastfreundschaft ist ein Modell, das uns den Streit auf dem Kirchentag erspart hätte.

Sie haben keine Angst vor einer Exkommunizierung?

Das ist ein Grundübel, dass der Papst in den vergangenen Jahren alles Leben der Kirche in kirchenrechtliche Paragrafen zwängt. In der Bibel heißt es: „Nehmet und esset alle davon“, nicht: „Nehmet und esset nur alle Kirchensteuerzahler davon.“ Das Wort ist klar eine Disziplinierungsmaßnahme.

Werden auf dem Kirchentag Katholiken nun erst recht zu evangelischen Abendmahlsfeiern gehen?

Das ist eine Gewissensentscheidung des Einzelnen. Die kann man Gott sei Dank nicht kontrollieren. Wir rufen ausdrücklich dazu auf, die eucharistische Gastfreundschaft bei den evangelischen Abendmahlfeiern wahrzunehmen. Jesus lädt ein.

Selbst in diesem Text profiliert sich der Papst als Globalisierungskritiker. Er fand viel Anerkennung als Warner vor dem Krieg im Irak – da dürfte Ihnen der Papst sehr nah sein.

Ja.

Kurz danach aber ist er Ihnen wohl mit dieser Enzyklika wieder sehr fremd. Ist es nicht ein Kreuz mit diesem Papst: Man ist stets hin- und hergerissen?

Dieser Text ist seine erste Enzyklika zu einem Sakrament. Das hat etwas von einem Vermächtnis. Er glaubt, hier eine Notbremse ziehen zu müssen.

INTERVIEW: PHILIPP GESSLER