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40 Grad Süd: Tasmaniens wilde Küste

Fischerparadies und Sträflingskolonnie. Der bizarre Reiz des Inselstaats Tasmanien

Die Leidenschaft für die Fischerei ist in seiner Familie nicht verloren gegangen

Fotos und Text: PHILIP GOSTELOW

Hoch über den aufragenden Klippen von Cape Pillar auf der Tasman Peninsula (Tasman-Halbinsel) schwenkt das Wasserflugzeug nach links, und das unendliche Panorama einer Ehrfurcht gebietenden Küste empfängt mich. Spitze Klippen bilden eine schroffe Felsbarriere gegen das Meer. In dem Inselstaat Tasmanien angekommen, liegen sieben Tage vor mir. Ich habe einen Mietwagen zur Verfügung, um die Schönheit der Küste aus erster Hand kennen zu lernen und ein Stück ihrer Seegeschichte zu entzaubern. In erster Linie will ich Menschen treffen, die noch heute mit der Küste verbunden sind, Leute, die entlang der Küstengewässer leben und arbeiten.

Meine Reise beginnt in Hobart, einer kleinen eleganten Stadt am Ufer des Flusses Derwent. Am Constitution Dock mache ich mich mit dem einheimischen Touristenführer Chris Blackaby in einem Meereskajak auf den Weg. Chris bietet mir beim Hinauspaddeln aus dem Hafen auf den Wassern des Derwent eine Besichtigungstour und erzählt mir kenntnisreich die Geschichte der Gewässer. Im 19. Jahrhundert wetteiferten Frachtsegler mit Walfangschiffen, die bis aus Skandinavien oder den USA kamen, um die Durchfahrt auf dem Derwent. „Bis ins 20. Jahrhundert beklagten sich die Leute, die in Flussnähe wohnten, über den Lärm der Walfängerschiffe, der sie nachts nicht schlafen ließ“, erzählt Chris. Obwohl Wale selten geworden sind, ist großes Treiben im Hafen, in dem japanische Trawler und russische oder australische Antarktisforschungsschiffe festmachen.

Am nächsten Tag toure ich die tasmanische Halbinsel hinab, eine Reise entlang triumphalen Naturwundern und den Hinterlassenschaften der Sträflinge aus der Kolonialzeit. Hier liegt Port Arthur. Von 1833 bis 1877, als die Briten ihre Politik der Sträflingstransporte aufgaben, war es die berühmteste Gefangenensiedlung der Kolonie. Gestützt auf den Nachschub an Sträflingen, wurde Port Arthur zu einem sich selbst versorgenden industriellen Zentrum, in dem Schiffe, Kleidung, Stiefel, Möbel und sogar Backsteine hergestellt und Gemüse angebaut wurden.

Beim Start vom angrenzenden Mason Cove bietet sich aus dem Wasserflugzeug ein anderer Blick. Nach einem Flug über die Ansiedlung umrundet das Flugzeug die Tasman Peninsula. Hier liegt eine der spektakulärsten Küsten der Welt. Wir fliegen um die massiven Dolomitklippen Point Raouls und dann quer über die Halbinsel nach Cape Hauy (Hoy ausgesprochen). Dort ragen unglaubliche Felsformationen aus dem Meer.

Zurück am Boden, nehme ich den Weg die Ostküste hinauf – die Heimat schmucker Fischerstädtchen und weißer Sandstrände. Mein Ziel ist die Freycinet-Marine-Farm auf der Freycinet Halbinsel. Dort gibt es mit die besten Austern Autraliens. Die Nacht verbringe ich im Shuckers Cottage (Schalenhütte) – ein treffender Name. Freycinet ist eine von vier Farmen dieser Art in der Gegend. Hier werden frische Austern gesammelt, verpackt und zum Festland transportiert, wo sie am selben Tag zum Lunch in die Restaurants kommen. Mit der Besitzerin Andrea Cole wate ich durchs kalte Wasser. Sie zeigt mir ein paar der Zuchtkäfige. „Wir produzieren beides, die heimischen Angazi wie die pazifischen Austern“, erklärt Andrea. „Die Angazi, eine Gezeiten-Auster, halten viele für schmackhafter, da ihr Aroma länger am Gaumen verweilt“, fügt sie hinzu und lässt mich von beiden Sorten probieren.

Circular Head, bekannt als „The Nut“ (Nuss), die berühmte Basaltlandspitze, die über Satanley thront, ist von der Küste aus weithin sichtbar. Niemand nennt sie bei ihrem offiziellen Namen, den ihr Mathew Flinders 1798 verlieh. Umgeben von wiegenden, grünen Feldern und mit dem Ausblick auf Bass Strait, gönne ich meinem Kopf an dem historischen Ort „Old Cable Station Retreat“ etwas Ruhe. Nach Stanley ist es nur noch eine kurze Fahrt über von Hecken gesäumte Landsträßchen.

Dank ihrer abgeschiedenen Lage an der Nordwestküste ist die Fischerstadt fast völlig unversehrt erhalten geblieben. Auf den Docks treffe ich den 60-jährigen Bill Hursey. In den über 40 Jahren, die er in Stanley lebt, hat Bill sein Fischereiunternehmen zum größten der Region ausgebaut. Er betreibt acht Fischerboote und sogar ein Fischrestaurant in der Stadt. Auf Bills Vorschlag hin treffe ich mich mit einem von Stanleys alten Seebären, Max Hardy. Von seinem Esszimmer im ersten Stock aus, mit Blick auf Bass Strait, erzählt er aus seinem Leben. Seit seinem 13. Lebensjahr war er Berufsfischer. Obwohl er kürzlich in Rente gegangen ist, leuchten seine Augen auf voll unerfüllter Sehnsucht nach der See. Diese Leidenschaft ist in seiner Familie nicht verloren gegangen: Beide Söhne und alle vier Enkel von Max sind Fischer.

Von Stanley aus fahre ich weiter westwärts, um dann auf die unbefestigte Straße einzubiegen, die eine Hand voll winziger Küstensiedlungen verbindet. Die feuchte Kalkstraße zieht sich durch ein hügeliges Land, das von Heidekraut und spindeldürren Bäumen bedeckt ist. Zu den schwierigen Straßenverhältnissen kommt streunendes Vieh hinzu, und über den Pieman River muss ich eine Fähre erwischen, bevor es südwärts weitergeht zu den Bergbaustädten Zeehan und Queenstown. Als Anfang des 19. Jahrhunderts die Westküste besiedelt wurde, war der Hafen von Strahan eine der ersten Städte, die im neuen Siedlergeist errichtet wurden – geschützt eingebettet in die Bucht des Macquarie-Naturhafens.

Ein Ausflugsboot bringt mich durch den Tiefseehafen zu den Ruinen der Strafanstalt auf Sarah Island. Die Abgeschiedenheit, die düstere Geografie des Westens bot den Autoritäten die Möglichkeit, die schlimmsten Verbrecher der Kolonie auf dieser Insel wegzusperren. Wer nach Sarah Island kam, musste Hells Gate (das Tor zur Hölle) am Hafeneingang passieren. Mit nur 50 Meter Breite trägt das Tor seinen Namen zu Recht: Wenn die Roaring Forties (die vorherrschenden Winde) bei gleichzeitig hohem Seegang und Ebbe blasen, können die Wasser hier einen Mahlstrom der Zerstörung entfalten. Perfekt, um die Verurteilten hier festzuhalten. Glücklicherweise gibt es heutzutage Möglichkeiten, von hier wieder abzureisen.

Übersetzung: Hans Schiler

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