braunschweig wird sanitärkulturhauptstadt von HARTMUT EL KURDI:
In der Provinz zu leben, fokussiert den Blick. Es gibt nicht viel, das einem von dem Wenigen ablenkt. Menschen in den Metropolen hingegen müssen zwangsläufig an einer Art Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom leiden, weil ständig überall etwas anderes passiert. So würden es Großstädter wahrscheinlich gar nicht mitbekommen, wenn ihre Stadt etwas so Rührendes wie einen „Stadtputztag“ ausriefe. In einer Mittelkommune wie Braunschweig hat man keine Wahl, man muss es einfach zur Kenntnis nehmen.
Der „Stadtputztag“ ist Teil eines „bundesweit Aufmerksamkeit verdienenden Projektes“, so die um nationale Beachtung bettelnde Pressestelle der Stadt, „mit dem der Braunschweiger Oberbürgermeister Dr. Gert Hoffmann die Offensive im Kampf gegen Verschmutzung und Müll eröffnet“. Das Projekt heißt „Unser sauberes Braunschweig“, wurde vor zwei Jahren gestartet und versucht der Verschmuddelung nicht nur durch martialisches Säuberungsvokabular, sondern auch knallharte Repressionsmaßnahmen beizukommen. Umweltsünden wie Apfelgripsfallenlassen oder Kippenwegschnipsen werden mit Geldbußen geahndet, sofern die patrouillierenden „Stadtstreifen“ die Ferkel auf frischer Tat ertappen. Ansonsten wird der Dreck von zwangsverpflichteten Sozialhilfeempfängern entsorgt, und so nebenbei auch noch erzieherisch auf das Schmarotzertum eingewirkt.
Diese Maßnahmen überraschen allerdings nur den, der nicht weiß, dass es CDU-Oberbürgermeister Gert Hoffmann einst in seiner Erstpartei NPD zum stellvertretenden Bundesvorsitzenden des NPD-Hochschulverbandes gebracht hat. Aber das ist lange her. Heute sieht sich Hygiene-Offizier Hoffmann (O-Ton: „Die Stadt ist nicht sauber!“) eher in einer Reihe mit der Frankfurter Putzperle Petra Roth und dem New Yorker Erfinder der „Zero Tolerance“-Politik, Rudolph Giuliani, die in ihren Städten ähnlich hart durchgriffen, um nicht nur des Mülls, sondern auch des Kapitalverbrechens Herr zu werden. Denn klar ist: Wer Kippen wegwirft, ist auch ansonsten fies, pullert gegen parkende Autos und macht irgendwann auch mal jemanden tot. Dem wird nun frühzeitig ein Riegel vorgeschoben.
Aber nicht nur mit Züchtigungen soll die Bombayisierung Braunschweigs verhindert werden. Der am 13. März 2004 zum dritten Mal stattfindende „Stadtputztag“ setzt auf Bürgerengagement. Unter der Telefonnummer (05 31) 8 86 21 42 kann man sich als Stadtputzer registrieren lassen, Abfallsäcke und Arbeitshandschuhe werden gestellt, zudem sind „alle Teilnehmer bei der Aktion Stadtputz beim Gemeindeunfallversicherungsverband versichert“. Und im Anschluss – erst die Arbeit, dann, aber hallo, das Vergnügen – „findet als Dank eine Abschlussveranstaltung auf dem Platz der Deutschen Einheit statt. Dort sorgt Live-Musik der Henry-Lion-Band für gute Stimmung.“
Damit aber niemand glaubt, er könne sich für das bisschen Drecksammeln den Wanst vollhauen, lässt die Stadt bezüglich des versprochenen Imbisses verlauten: „Die jeweilige Ausgabe ist auf eine Wurst pro Person begrenzt! Es können leider keine Sammelbestellungen angenommen werden.“ Schade.
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