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Schotten mögen Sieger

Vor vier Jahren hat man die Sozialisten noch gönnerhaft belächelt – doch jetzt muss man sie ernst nehmen

aus Glasgow RALF SOTSCHECK

Jetzt braucht er erst mal ein Bier. Gordon Morgan ist verschwitzt und ringt nach Luft, als er das Parteibüro der Scottish Socialist Party (SSP) neben Glasgows Hauptbahnhof im Hintergebäude eines Büroblocks betritt. Er ist gerade durch die halbe Stadt geradelt. Und in Schottland ist es für diese Jahreszeit ungewöhnlich warm.

Morgan kommt gerade aus dem Glasgow-Museum, wo der britische Premierminister Tony Blair seine schottischen Parteigenossen auf den Wahlkampf eingeschworen hat – am 1. Mai wählen die Schotten ein neues Regionalparlament. Gordon Morgan und eine Handvoll weiterer SSP-Mitglieder hatten sich in Schale geworfen: In Frack und Zylinder erwiesen sie Blair als „Vertreter des Kapitals“ die Ehre und protestierten gegen den Irakkrieg.

Ihre Ablehnung des Krieges hat der SSP Zulauf beschert. „In den vergangenen zwei Monaten sind 500 neue Mitglieder beigetreten, allein bei der großen Antikriegsdemonstration in Glasgow waren es 150“, sagt Morgan. „Wir haben jetzt mehr als 3.000 Mitglieder und 65 Ortsverbände im ganzen Land.“

Bevor er wieder auf sein Rad steigt, tauscht der 52-Jährige den Frack gegen eine grüne Stoffhose und ein hellblaues Hemd. Um seinen Hals baumelt seine Brille an einer Schnur. Morgan ist der Experte seiner Partei für Verfassungsfragen und stellvertretender Schatzmeister, aber leben kann er davon nicht. Er arbeitet als Computerexperte bei der Glasgower Stadtverwaltung. Wenn die SSP morgen gut abschneidet, gibt er seinen Job vielleicht auf und arbeitet ganztags für die Partei. Die Chancen stehen nicht schlecht. Bei Meinungsumfragen zu Beginn des Irakkrieges lag die SSP bei über zehn Prozent. Inzwischen hat sie wieder ein paar Punkte an Labour verloren. Auch Schotten mögen Sieger.

Dennoch will Tony Blair sichergehen. Denn die Nationalisten von der Scottish National Party (SNP) sitzen Labour im Nacken. Bei den letzten Wahlen vor vier Jahren, als Schottland nach 300 Jahren wieder ein eigenes Parlament bekam, reichte es für Labour nur zu einer Koalitionsregierung mit den Liberaldemokraten.

Gordon Morgan gehörte der Labour-Party 16 Jahre lang an. „Ich beschäftige mich seit dem Vietnamkrieg mit Politik“, sagt er. „1997 bin ich aus Blairs New Labour ausgetreten, weil er die Partei immer weiter nach rechts reformiert hat.“

Die SSP wäre morgen mit acht Prozent zufrieden, das würde für fünf Sitze im schottischen Parlament reichen. Vielleicht wird sie dann ja Zünglein an der Koalitionswaage. Bisher hat die Partei lediglich einen Abgeordneten: Tommy Sheridan, der mit seinem gebräunten Gesicht und dem modischen Haarschnitt aussieht wie ein Filmstar.

Sheridan war bereits über Schottlands Grenzen hinaus bekannt, bevor es die SSP gab. Er organisierte Ende der 80er-Jahre die Kampagne gegen Margaret Thatchers Kopfsteuer. Dafür musste er 1992 für sechs Monate ins Gefängnis. Die Konservativen erholten sich von dem Desaster mit der Kopfsteuer nie, sie spielen heute in Schottland nur noch eine Nebenrolle. Und aus der Kampagne dagegen entwickelte sich die SSP. Die sei keineswegs eine Ein-Mann-Partei, sagt der 39-jährige Sheridan trotzig. Vor vier Jahren habe man die Sozialisten noch gönnerhaft belächelt, doch jetzt müsse man sie ernst nehmen.

Weil er sein Bier in Ruhe ausgetrunken hat, kommt Gordon Morgan zu spät zum Treffpunkt in Govan und muss mit seinen Flugblättern alleine von Tür zu Tür gehen. Govan gehört zu den ärmeren Vierteln der Stadt, es hat einen hohen Anteil von Pakistanern, viele sprechen kein Englisch. Unterhaus-Abgeordneter für diese Gegend ist der Labour-Mann Mohammed Sarwar, ein asiatischer Multimillionär, dem eine Ladenkette gehört. Er ist der erste muslimische Westminster-Abgeordnete Großbritanniens.

Es ist mittags, aus den meisten Wohnungen duftet es nach asiatischen Gewürzen. Nachdem Morgan sein Anliegen vorgetragen hat, wird stets der Mann, der Familienvorstand, gerufen. Kaum einer will sich festlegen, doch alle nehmen bereitwillig die Wahlkampfbroschüre der SSP entgegen. Mohan, ein älterer Pakistaner, verspricht, für Sheridan zu stimmen. „Ich lebe seit 24 Jahren in Glasgow“, sagt er, „ich bin längst Schotte. Aber Nationalismus ist mir in jeder Form zuwider, weil er mit einer Ausgrenzung von Minderheiten einhergeht. Die Scottish National Party (SNP) tritt für eine vollständige Unabhängigkeit ein. Doch was dann? Schottland den Schotten? Und was ist mit den Minderheiten?“

Morgan glaubt, dass die SNP gute Chancen hat, den Sitz in Govan zu gewinnen. Nach anderthalb Stunden hat er immerhin drei feste Wahlzusagen für seine SSP. Er ist zufrieden. Jeder weiß, dass die sozialistischen Programmpunkte der Partei Zukunftsmusik sind. Deshalb hebt Morgan die Themen hervor, die im Machtbereich des schottischen Parlaments liegen und finanzierbar sind: eine Reform der Gemeindesteuer, die auf dem Einkommen basieren soll statt auf dem Immobilienwert; ein Mindeststundenlohn von 7,32 Pfund (zehn Euro); eine 35-Stunden-Woche; kostenlose Mahlzeiten für Schulkinder.

Das kommt in Glasgow an. Wenn man an der vornehmen Einkaufsstraße in der Innenstadt mit einer ganzen Passage von Juweliergeschäften vorbeikommt, mag man kaum glauben, dass Glasgow nicht nur die größte Stadt Schottlands ist, sondern auch die ärmste. Zwei Drittel der Besserverdienenden sind Pendler, die jenseits der Stadtgrenze wohnen. Offiziell liegt die Arbeitslosigkeit in Glasgow bei elf Prozent, doch in Wirklichkeit ist sie viel höher. 19 Prozent der Einwohner im arbeitsfähigen Alter beziehen Krankengeld, was lukrativer als Sozialhilfe ist und von den Behörden gefördert wird, um die Arbeitslosenstatistik zu schönen.

Glasgow hat kein Geld, um soziale Probleme zu behandeln. Zwar erhebt die Stadt die höchste Gemeindesteuer in Schottland, doch das Geld geht an die Regionalregierung und wird von dieser proportional zur Einwohnerzahl zurückverteilt. Dass Metropolen wie Glasgow mehr Geld benötigen als andere Regionen, bleibt dabei unberücksichtigt.

„Die schottische Selbstverwaltung hat Glasgow überhaupt nichts genützt“, bilanziert Eddie Friel, Chef der Tourismusindustrie in Glasgow. „Die Armut in dieser Stadt ist eine Beleidigung für eine zivilisierte Gesellschaft, und diese Armut wird von einer schottischen Regionalregierung verwaltet.“

Gordon Morgan hat es sich inzwischen auf der Ladefläche eines uralten Lieferwagens bequem gemacht, den ein Wähler der Partei geschenkt hat. Der Wagen ist mit Plakaten beklebt, auf dem Dach ist ein Lautsprecher angebracht, aus dem Wahlkampfparolen tönen. Manchmal werfen Jugendliche Steine nach dem Wagen. „Sie werfen nach jedem Wagen Steine, der Parteiaufkleber hat“, sagt Morgan.

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