: Yoga statt Prada
Noch schöner wohnen in Designerhotels. Der Luxus besteht nicht mehr im pompösen Protz, sondern in der Beschränkung auf das Wesentliche
von TILL BARTELS
Wer hier Platz nimmt, ist nach fünf Minuten reif für die Rückenschule. Denn die ungewöhnlichen Polstermöbel zwingen einen beim Cocktailschlürfen zu unbequemen Verrenkungen. Die im achten Stockwerk des Hamburger Side Hotels gelegene Lounge gehört zu den Szenebars der Stadt: creme, orange und knallrote Sitzeier dienen als Sesselersatz. Darüber schweben kreisrunde bunte Lampen wie fliegende Untertassen.
Der Empfang des zwei Jahre alten Hotels ist spektakulär. Statt dunkler Lobby und niedrigen Decken betreten die Gäste eine luftige Kathedrale und staunen über den Himmel auf Erden, die 29 Meter hohe Decke: Um das trapezförmige Atrium gruppieren sich die Zimmer und Suiten von Hamburgs jüngstem Designerhotel. Gestaltet vom Mailänder Designer Matteo Thun. Je nach Tages- und Jahreszeit wechseln computergesteuert Farben und Licht hinter einer überdimensionalen Milchglaswand.
International sorgte die Eröffnung des „Side“ für Aufregung. Beim renommierten Reisemagazin Condé Nast Traveller landete das Haus 2002 auf Platz 1 der coolsten Hotels weltweit. Dabei folgt das Side nur einem Trend in der Hotellerie: Immer mehr Gäste bevorzugen überschaubare Häuser mit individuellem Stil. Statt gesichtsloser 0815-Kettenhotels sind klare Formen und Farben angesagt. Der Luxus besteht nicht mehr im pompösen Protz, sondern in der Beschränkung auf das Wesentliche. Optisches Understatement wird mit Funktionalität und lautlosem Service gepaart.
Spotlight statt Kronleuchter: Die klassischen Statussymbole sind out, bewusster Lebenstil sei in, so Claus Sendlinger (siehe Interview). Der Mitbegründer der Vermarktungskooperation Design Hotels, zu der in Hamburg auch das Side Hotel und Gastwerk gehören, reduziert den neuen Anspruch seiner Gäste auf die Kurzformel: „Yoga statt Prada“.
Schon seit zwanzig Jahren existiert im Hoteldesign eine Bewegung hin zu schlichter Eleganz. Falscher Marmor, Chintz und Schnörkel sind jetzt tabu. In New York hatte 1984 Ian Schrager, der Besitzer legendärer Discos wie Studio 54 und Palladium, die Französin Andrée Putman mit dem Entwurf eines „Boutique-Hotels“ beauftragt. Damals brach die Designerin aus Paris mit den feststehenden Regeln für Luxushotels und wurde zur Revolutionärin des Gastgewerbes, indem sie zu Charme und Einfachheit zurückfand. Gefälschte Antiquitäten als historisierende Kulisse landeten im Schuttcontainer, ebenso die überholte Attitüde des Personals. Früher kultivierte man in den Hotels mehr die Unterwürfigkeit statt weltläufige Höflichkeit. Die schwarz-weiß gefliesten Badezimmer im Morgans begründeten ihren Ruf als „Königin der Bäder“ und wirken zwanzig Jahre später zeitlos modern. Ihr frischer Stil eckte an und bewirkte Veränderungen. Weitere Schrager-Hotels folgten.
Der niedersächsischen Provinz verhalf die First Lady ihres Handwerks zur Weltklasse. Im Wolfsburger Ritz-Carlton schuf die Innerarchitektin eine besondere Hotelwelt, die im angenehmen Kontrast zur industriellen Umgebung steht. Der große, offene Kamin in der Lobby trägt ebenso ihre Handschrift wie auch die feinsten Nuancen von Grau, Beige, Braun und Korallentönen oder die ovalen Turmmöbel für Fernseher, Fax und Telefon auf den 174 Zimmern. Damit verhalf sie der Autostadt zu einem lebendigen Designzentrum.
Klassische Musik unter Wasser, One Aldwych ist in London Adresse und Name zugleich. Kein Werbeschild schreit um die Aufmerksamkeit. Fast lautlos haben sich in den letzten Jahren in Europas Trendmetropole neue Designerhotels etabliert. In dem fast hundert Jahre alten Londoner Gebäude mit Louis-Seize-Fassade und schmiedeeisernen Fensterverzierungen war einst die Zeitung The Morning Post zu Hause. Innen entpuppt sich das 1998 eröffnete Haus als Oase für Augen und Ohren. Die frühere Anzeigenhalle verströmt jetzt lichte Klarheit und Ruhe. Baumhohe Blumenbouquets setzen die einzigen farblichen Akzente. „Wir wollen uns weit gehend von den überflüssigen Ausschmückungen des Luxus lösen, die heute altmodisch und unnötig erscheinen, und uns auf das konzentrieren, was den Erfolg eines Hotels wirklich ausmacht – also professionellen Service und erstklassigen Komfort“, sagt Gordon Campbell Gray. Der Managing Director und Miteigentümer des One Aldwych hat aus den Schwächen der ersten Boutique-Hotels gelernt. Die wollten häufig mit Ambiente beeindrucken, wobei der Service auf der Strecke blieb.
Wofür steht das W? Eine der größten Hotelgesellschaften der Welt möchte am neuen Qualitätsboom partizipieren. Die Starwood-Gruppe, zu der auch die Sheraton-Hotels gehören, kreierte die Marke „W“. Die „Dabbeljus“ wenden sich an Geschäftsreisende mit Sinn für Design und Ambiente. Innerhalb von fünf Jahren entstanden 17 Häuser, viele davon in New York. Die zum Teil aufwändig renovierten historischen Gebäude machen den Designerhotels der ersten Generation Konkurrenz, wobei das „W“ für warm, witzig, wundervoll und willkommen steht.
Böse Zungen behaupten: Das W Hotel an der Lexington Avenue wäre mit über 700 Zimmern nur eine überdimensionale Designerkopie. Doch hat jedes Haus seinen eigenen Stil gefunden, und das W signalisiert auch den besonderen Service-Anspruch: whatever and whenever. Falls der Gast um 3 Uhr morgens ein Peanutbutter-Sandwich oder einen Beamer benötigt: kein Problem.
Aber die Keimzelle des guten Geschmacks ist schon so alt, dass sie kürzlich generalüberholt wurde. Das Radisson SAS Royal Hotel steht seit 1961 in Kopenhagen. Der dänische Allround-Designer Arne Jakobsen hatte zu Beginn des Jet-Zeitalters ein Hotel für sein unverwechselbares Mobiliar konstruiert. Dabei griff er auf die Formensprache der Fünfzigerjahre zurück und setzte der Niere ein Denkmal, ob im Fußboden oder als Motiv an den Wänden. Doch sein Gesamtkunstwerk, das heute gern als die Mutter aller Designerhotels bezeichnet wird, wirkt alles andere als spießig.
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