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der trostpreis in der lotterie des lebens von RALF SOTSCHECK

Eins muss man der britischen Labour-Regierung lassen: Wenn es um Unverfrorenheit geht, kann ihr niemand das Wasser reichen.

Vorigen Donnerstag veranstaltete man im Rathaus des Nord-Londoner Stadtteils Brent die erste Staatsbürgerschaftsfeier, der noch viele folgen sollen. 19 Menschen aus zehn Nationen hatten das Pech, dass die Labour Party beschlossen hatte, ihren Einbürgerungsantrag für eine peinliche Reklameveranstaltung zu missbrauchen.

Sie mussten sich vor Innenminister David Blunkett aufstellen und die Nationalhymne vorsingen – den Blick fest gerichtet auf das Porträt der Königin, auf die sie einen Eid schwören und ihr hoch und heilig versprechen mussten, ihre Pflichten als britische Bürger zu erfüllen. Das nahm freilich niemand ernst. New Labour hat vor den Wahlen auch zahlreiche Versprechen abgegeben und sie reihenweise gebrochen. Da werden die Politiker es wohl nicht allzu krumm nehmen, wenn sich die Neubriten die Sache mit den „demokratischen Werten“ oder der „treuen Einhaltung der Gesetze“ später anders überlegen.

Als wenn das alles nicht erniedrigend genug gewesen wäre, tauchte obendrein Prinz Charles auf und gab seinen Senf dazu. Die britische Staatsbürgerschaft sei der erste Preis in der Lotterie des Lebens, verkündete er und wackelte mit den beiden großen Trostpreisen, die er in der besagten Lotterie Dumbo weggeschnappt hat. Die Neubriten mussten für ihren Preis allerdings umgerechnet 100 Euro bezahlen.

Blunkett sagte, er sei froh, dass sich die neuen Mitbürger Großbritannien ausgesucht haben. Was für ein Heuchler! Das Sympathischste an Blunkett ist sein Blindenhund. Zur selben Zeit, als der Minister die wehrlosen Neubriten vorführte, plante seine Regierung ein neues Auffanglager für Asylbewerber – in Tansania. Man hat der dortigen Regierung vier Millionen Pfund geboten, wenn sie Flüchtlinge aufnimmt und in ein Lager sperrt, bis man in Britannien über ihren Asylantrag entschieden hat. Wird er abgelehnt, können die Tansanier die Flüchtlinge behalten. Warum auch nicht? Tansania hat bereits 500.000 Flüchtlinge, da kommt es auf diejenigen, über die Blunkett nicht froh ist, nicht mehr an. Vielleicht könnte man später britische Strafgefangene oder Leute mit ansteckenden Krankheiten hinterherschicken.

Blunkett wäre selbst bei den Tories der Rechtsaußen. Dort könnte er Ann Winterton ersetzen, die dumme Tory-Ziege, die gern rassistische Witze erzählt und wohl aus der Partei geworfen wird. „Zwei Haie schwimmen im Atlantik“, erklärte sie neulich einer Dinner-Gesellschaft. „Sagt der eine, dass er die Nase voll von Thunfisch habe. Meint der andere, man könne doch zur Morecambe-Bucht schwimmen und chinesisch essen.“ Das bezog sich auf die 20 chinesischen Muschelsammler, die vor gut drei Wochen von einer Flutwelle erfasst wurden und ertranken. Sie gehörten nicht zu Blunketts neuen Vorzeigebriten, sondern waren illegal im Land.

Könnte Blunkett nicht die nächste Staatsbürgerschaftsfeier im Stile Johannes des Täufers in der Morecambe Bay vornehmen? Vielleicht kommt ja eine klitzekleine Flutwelle ganz allein für den Minister.

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